Ein verfuehrerischer Tanz
»Lieber Gott, schenke mir stramme männliche Nachkommen und sei uns wohlgesinnt.« Das musste reichen.
Nachdem der Geistliche seinen Segen gesprochen hatte, steckte Spencer Amelia einen schlichten Goldring an den Finger. Der Schmuck seiner Tante lag in Braxton Hall im Safe; dort konnte Amelia sich später einen funkelnden Dia mantring aussuchen. Als er ihre eiskalten Finger fühlte, packte ihn abermals jähe Verärgerung. Wieso hatte sie kalte Hände? Hatte das Modehaus etwa keine Handschuhe mitgeschickt?
»Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau.«
Na endlich.
Er drehte sich zu seiner Braut und sah ihr tief in die Augen, zum ersten Mal seit Beginn der Zeremonie. Prompt hätte er sich selbst ohrfeigen können, weil er sie nicht die ganze Zeit angeschaut hatte. Ihre Augen waren so bezaubernd – groß und ausdrucksvoll. Und von einem zarten irisierenden Blau.
Er brannte darauf, sie hier und jetzt zu küssen.
Als könne sie seine Gedanken lesen – hoffentlich hatte er seinen Wunsch nicht laut ausgesprochen?! –, schüttelte sie kaum merklich den Kopf und flüsterte:
»Noch nicht.«
Mit einem leise schmatzenden Geräusch schlug der Geistliche das Gemeinderegister auf einem Beistelltisch auf und blätterte zu der entsprechenden Seite. Er trug ihre Namen und das Datum der Heirat ein, reichte Spencer die Feder, der mit seinem Titel unterschrieb. Es war ein langer Titel, und er brauchte eine Weile. Als er fertig war, tauchte er den Federkiel erneut in die Tinte, bevor er ihn Amelia reichte.
Sie hielt inne und starrte auf den Eintrag.
Als sich der Augenblick in die Länge zog, setzte Spencers Herz für eine Sekunde aus. Na los, mach schon, unterschreib.
Bevor sie ihre Unterschrift leisten konnte, wurden sie von einem lauten Wortwechsel im Gang gestört. Julian Bellamy stürmte in den Salon, dicht gefolgt von Ashworth. Als die beiden Männer geradewegs auf ihn zukamen, stöhnte Spencer auf.
»Was zum Teufel soll das hier?«, rief Bellamy.
»Ich heirate.«
»Das seh ich, Sie infamer Verräter.« Bellamy wedelte aufgebracht mit einem Stück Papier vor Spencers Gesicht herum. »Das hier. Ich meine das hier.«
Es war der Scheck, den er Lily geschickt hatte.
»Das ist der versprochene Scheck. Aber das wissen Sie doch! Ich biete Lady Lily Geld für den Anteil ihres Bruders.«
»In Höhe von zwanzigtausend Pfund?«
Neben ihm schnappte Amelia nach Luft.
»Zwanzigtausend Pfund«, wiederholte Ashworth. »Es gibt auf der ganzen Welt kein Rennpferd, das so viel wert ist, geschweige denn dieser alte Zuchtklepper.«
»Mein Angebot richtet sich nicht nach dem Marktwert des Pferdes, sondern danach, was mir der Anteil wert ist.« Spencer wandte sich erneut an Bellamy. »Und es ist Sache von Lady Lily, ob sie mein Angebot annimmt, und nicht Ihre.«
Die schlanke dunkelhaarige junge Frau trat zu ihnen.
»Ich bin Ihnen zwar sehr dankbar, Hoheit, aber trotzdem, ich kann es nicht annehmen.«
»Wenn es Ihnen zu wenig ist, kann ich mein Angebot erhöhen.«
»Um Himmels willen, nein«, wiegelte Lily ab. »Ihr Angebot ist überaus großzügig. Es ist gut gemeint, aber ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Scheck akzeptieren würde.«
»Sie kann ihn so oder so nicht annehmen«, mischte Bellamy sich ein, »weil Leos Pfandmünze verschwunden ist.«
»Verschwunden?«, fragte Amelia. »Wie das?«
»Das wüsste ich auch gern.« Bellamy durchbohrte Spencer mit einem mordlustigen Blick. »Was haben Sie dazu zu sagen, Morland?«
»Woher soll ich wissen, wo seine Münze ist? War sie denn nicht bei Harcliffes Sachen?«
Ashworth schüttelte den Kopf.
»Wir haben alles durchsucht, zwei Mal sogar. Er trug sie auch nicht bei sich. Ich habe dafür nur eine Erklärung: Seine Angreifer müssen sie ihm gestohlen haben.«
»Dann wäre es ein geplanter Raubüberfall gewesen«, sagte Spencer. »Vielleicht hat er sie ja bei einer Wette verloren.«
»Nie im Leben«, widersprach Bellamy. »Leo hätte diese Münze niemals als Wetteinsatz riskiert, das wissen Sie genauso gut wie wir. Nein, Ihnen war klar, dass Sie keine andere Möglichkeit hatten, um an die Münze ranzukommen.«
»Zum Henker, was wollen Sie damit sagen?« Eine dunkle Ahnung legte sich wie ein bleischweres Gewicht auf Spencers Magen. »Sie denken doch nicht etwa, ich hätte meine Finger im Spiel?«
Statt einer Antwort hob Bellamy vielsagend seine Brauen.
»Nein, das kann nicht sein«, sagte Spencer, seine Stimme kalt wie Eis, »denn damit würden Sie mich auf
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