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Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Titel: Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y.S. Lee
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Gesicht glühte. Sie konnte sich an den Tag erinnern. Aber irgendetwas war in Mr Chens Ausdruck   … »Sie können das nicht wissen! Woher sollten Sie etwas wissen?«
    »Beruhige dich«, sagte er ernst. »Über einen Mann, dessen Namen du nicht mehr weißt, kann ich nichts sagen.«
    Verschiedene Silben huschten ihr durch den Kopf. Sie hatte weder Mandarin noch Kantonesisch gelernt, abgesehen von vereinzelten Wörtern oder Begriffen; hatte auch nie die Geduld gehabt, die chinesischen Schriftzeichen zu lernen. Plötzlich war sie wütend auf sich selbst, dass sie sich nicht darum gekümmert hatte. Sie war das Einzige, was noch von ihrem Vater blieb, die Einzige, die noch an ihn dachte, und sie konnte sich nicht einmal an seinen Namen erinnern. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Aus der Unzahl schwieriger Wörter, die ihr im Kopf herumschwirrten, tauchte es schließlich auf: »Lang Jin Hai!«
    Er sah sie unverwandt an. »Bist du sicher? Lang Jin Hai?«
    »Ja.« Genau. Es bedeutete »goldene See«.
    Mr Chens Augen funkelten erregt. »Dann bist du Mary, seine einzige Tochter.«
    Sie konnte ihn nur anstarren. Es war schrecklich genug, dass er ihr auf den Kopf zugesagt hatte, sie seiHalbchinesin, aber dass er nun auch noch zu wissen behauptete, wer sie war   …? Da musste doch ein Trick dahinterstecken. Schließlich brachte sie flüsternd hervor. »Unmöglich.«
    Er schien es ihr nicht übel zu nehmen. »Wieso?«
    »Wie sollten Sie   – mein Vater   – vor Jahren   …« Sie konnte nicht einen zusammenhängenden Satz hervorbringen. Argwohn, Hoffnung, Angst und Verwirrung brachen über sie herein. »Das ist unmöglich«, sagte sie noch einmal.
    Mr Chen lächelte etwas. »Du hast Limehouse verlassen, als du noch ganz jung warst, und seitdem bist du als weiße Engländerin durchs Leben gegangen.«
    Woher konnte er so viel über sie wissen? Sie stand mühsam auf, aber ihre Knie waren so wackelig, dass sie sich schließlich am Stuhl festhalten musste.
    Der alte Mann trat zurück und hob die Hände hoch. »Ich will nicht versuchen, dich hier festzuhalten, Mary Lang. Aber ist es klug, vor einer Erklärung davonzulaufen?«
    Wenn sie die Augen schließen würde, würde sich der Raum um sie drehen. Daher konzentrierte Mary sich auf Mr Chen und etwas an seinem Ausdruck erinnerte sie merkwürdigerweise an Anne Treleaven. Vielleicht war es nur die Situation: Sie fühlte sich wieder wie die Zwölfjährige, aufgewühlt und verloren, und sah sich plötzlich etwas Neuem gegenüber, das ihr Angst machte. Sie umfasste die Stuhllehne fester und sagte heiser: »Ich höre.«
    »Es ist offensichtlich für mich, dass du Poplar ganzjung verlassen hast, da du nicht zu wissen scheinst, wie klein unsere chinesische Gemeinschaft ist. Es gibt ungefähr zwei Dutzend chinesische Matrosen, die sich hier niedergelassen und weiße Frauen geheiratet haben.«
    Das klang völlig nachvollziehbar.
    »Du gehörst nicht zu unserer Gemeinschaft, sprichst nur Englisch. Es hat dich überrascht   – und sogar empört   –, als Mischling erkannt zu werden.«
    Sie hätte sich gerne gerechtfertigt, obgleich das, was er sagte, ja stimmte. Dennoch   … »Ich schäme mich nicht, einen chinesischen Vater zu haben«, sagte sie vorsichtig. »Aber die meisten Engländer sind voreingenommen. Sie halten Ausländer, vor allem diejenigen mit dunklerer Haut, für minderwertig. Sie glauben, dass wir charakterschwach sind und keine moralischen Werte haben.«
    »Natürlich, dagegen müssen wir hier alle ankämpfen.«
    »Aber ich lebe mittlerweile unter den Engländern. Wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich ein Mischling bin, würde das ihre Haltung mir gegenüber verändern. Ich würde keine Arbeit finden, außer als niederer Dienstbote; manche Leute würden mich verachten und mich behandeln, als sei ich ein Untermensch. Das könnte ich nicht ertragen!«
    »Und doch ist es das Schicksal der meisten Asiaten   – oder auch anderer dunkelhäutiger Menschen   – in diesem Land. Du, Mary, fällst nur aus diesem Schema, weil dir deine Rasse nicht besonders auffallendins Gesicht geschrieben ist. Verglichen mit den meisten chinesischen jungen Frauen ist das ein Segen, aber auch ein Fluch: Du kannst deine Herkunft leugnen, wenn dir das günstiger erscheint.«
    Sie warf die Hände hoch und versuchte, ihm ihren Standpunkt deutlich zu machen. »Aber ich gehöre weder zu den einen noch zu den andern! Für die Chinesen bin ich nur halb chinesisch; und für die Weißen

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