Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
»Aber
warum
?«
Angelica setzte sich wieder und wartete, bis er es auch tat. Nach einem Augenblick sagte sie langsam: »Michael, du bist ein guter Mensch, aber ich habe dich in erster Linie geheiratet, um mich meinen Eltern zu widersetzen. Sie wollten, dass ich einen reichen und mächtigen Geschäftsmann heirate, da habe ich den ärmsten Mann ausgewählt, den ich kenne.« Michael zuckte zusammen, doch sie fuhr fort, als hätte sie es nicht bemerkt; vielleicht hatte sie das auch nicht. »Ich liebe dich nicht genug, um mit dir verheiratet zu bleiben, nachdem sich nun alles in meinem Leben geändert hat. Ich bin immer schrecklich selbstsüchtig gewesen; ihr glaubt vielleicht, dass mir das nicht klar ist, aber ich weiß es. Und ich werde auch weiterhin so sein. Ich werde unverheiratet bleiben und in Wien Musik studieren und auf keinen hören, der mich davon abhalten will.« Sie streifte den Trauring vom Finger und reichte ihn Michael.»Es nützt nicht viel, das zu sagen, Michael, aber es tut mir leid.«
Lange Zeit starrte er auf den Teppich.
Mary wagte kaum zu atmen.
Angelica hielt die Hand ausgestreckt und wollte ihm den goldenen Ring geben.
Nach einer Weile fasste er sich. »Ich bin sicher, dass du in Wien zurechtkommst.«
»E-es tut mir schrecklich leid, Michael«, murmelte Angelica.
»Das sagtest du bereits.«
»Du findest eine, die besser ist als ich; eine, die dich zu schätzen weiß«, sagte Angelica mit gezwungener Munterkeit. Es war genau das Falsche.
»Nein, das werde ich nicht. Ich komme ins Gefängnis.«
»Die polizeiliche Untersuchung wird den Verdacht ausräumen«, sagte Mary. »Wenn Sie aussagen, was Sie mir gestern erzählt haben … Sie könnten doch die Unterlagen vorweisen, die Sie kopiert haben …«
Er zuckte die Schultern und stand auf. »Ich bezweifle, dass sie mich überhaupt anhören. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, meine Damen …« Er verließ mit hängenden Schultern das Zimmer, so gar nicht der übliche charmante, elegante Michael.
Angelica sah Mary mit weit aufgerissenen Augen an. »Glauben Sie, ich habe das Richtige gemacht?«
»In Bezug auf was? Die Annullierung der Ehe zu fordern?«
»Alles, nehme ich an.« Angelica drehte den Trauringzwischen Daumen und Zeigefinger. »Es ist erschreckend, endlich fast bei dem angekommen zu sein, was man will.«
»Wirklich?«
»Ich überlege die ganze Zeit, ob ich es rückgängig machen sollte. Was ich natürlich nicht wirklich will.«
Mary musste plötzlich grinsen. »Nun, falls Sie es sich anders überlegen, dann ist da ja noch immer George Easton …«
Fünfundzwanzig
T aub.
Das war das Wort für seine Hände und das seltsame, kalte Gefühl in den Lippen. Leider traf es nicht für seinen Geisteszustand zu. James starrte auf den zerknüllten Zettel, den er gerade aus der Tasche gezogen hatte: eine halbe Seite einfachen Papiers, säuberlich zweimal zusammengefaltet und adressiert an Herrn J. Easton in mühsamer, ziemlich krakeliger Druckschrift. Es war Alfred Quigleys Brief. James hatte ihn ganz vergessen, bis er nach einem frischen Taschentuch gesucht hatte.
Er war jetzt natürlich unwichtig – genauso wie James’ Pläne, den Jungen richtig anzustellen oder ihm zu helfen, eine anständige Ausbildung zu bekommen, oder jede andere der guten Absichten, die er am Morgen verworfen hatte. Was zum Teufel sollte er jetzt noch mit der Notiz machen? Sie schien bedeutungsvoll zwischen seinen Fingern zu vibrieren – in Wirklichkeit wahrscheinlich ein Zittern, das von der leichten Brise oder James’ eigener Unruhe ausgelöstwurde – und diese Bewegung ließ das Stück Papier lebendig wirken. Mit einem Seufzen entfaltete er es.
Samstag 9 Uhr abends
Liber Mr Easton,
mit dem asül Haus für Matrosen stimt was nich, es hat
was mit der Fammilie in Chelsy zu tun und dem
Chinesen. Ich erklere alles, wenn ich Sie sehe, aber ich
wollte es schon mal sagen.
Gruß A. Quigley
James überlief plötzlich eine Übelkeit, die nichts mit dem Gestank des Flusses zu tun hatte. Gestern Abend war Alfred Quigley noch am Leben und wohlauf gewesen und hatte sich für den nächsten Tag etwas vorgenommen. Und heute Nachmittag war er mausetot. Sicher, das Leben war hässlich, brutal und kurz – vor allem, wenn man arm war –, aber das war einfach ein zu merkwürdiges Zusammentreffen. Quigley hatte etwas über die Thorolds und das Wohnheim für Seeleute gewusst; Quigley teilte es James mit; Quigleys Leiche
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