Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
das, was du am Leibe trägst.«
Angelica fiel die Kinnlade herunter. Sie war ja schon blass gewesen, doch jetzt verlor ihr Gesicht auch noch den letzten Hauch von Farbe, und ihre Lippen waren kreideweiß.
Mrs Thorold beobachtete die Wirkung ihrer Worte mit offensichtlicher Genugtuung. »William wird euch beide aus dem Haus befördern. Läuten Sie, Miss Quinn.«
»Mama?«, flüsterte Angelica. »Bitte …«
Mrs Thorolds wütender Blick fuhr wie ein Schwert auf sie herab. »Du hättest lieber durchbrennen sollen«, sagte sie genüsslich und bissig. »Dann hättest du etwas Schmuck mitnehmen können.«
Michael starrte sie entsetzt an. »Mein Gott – sein Kind einfach so zu verbannen, ist eine Sache, aber das auch noch voller Ergötzen zu tun! Sind Sie verrückt?«
Mrs Thorold warf Mary einen kurzen Blick zu. »Ich habe gesagt, Sie sollen läuten!«
Mary faltete die Hände vor sich. »Nein.«
»Wie können Sie es wagen? Sie sind meine Bedienstete, Miss Quinn!«
»Sie haben mich doch vor zwei Minuten entlassen.«
Michael hatte inzwischen schützend den Arm um Angelica gelegt. »Halte dich an mir fest, Liebling; ich passe auf dich auf.« Er warf seiner Schwiegermutter einen finsteren Blick zu. »Es muss nicht geläutet werden, Ma’am. Mrs Gray und ich finden selbst hinaus.«
Angelica schien fast ohnmächtig zu werden.
Mit Mühe klammerte sich Mrs Thorold an die Lehne eines klobig geschnitzten Stuhls, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Verschwinde!«, fauchte sie. »Verlasse mein Haus auf der Stelle, du undankbares Wesen!«
Mary stellte sich zwischen Mutter und Tochter. »Mrs Thorold, was haben Sie denn davon, wenn Sie Mrs Gray sofort hinauswerfen, statt erst in einer Stunde?«
»Was wohl?« Die Augen der alten Frau funkelten,während sie an Mary vorbei die zusammengesunkene Gestalt ihrer Tochter ansah. »Ich habe meinen Sohn und Erben vor Jahren verloren, mein Mann ist ein Tor, und dieses Flittchen kann nicht mal eine vernünftige Verbindung eingehen. Was habe ich sonst noch zu verlieren?«
»Die Nachbarn werden weniger Stoff für Klatsch haben, wenn sie das Haus auf eigenen Füßen verlässt.«
Einen Augenblick schien Mrs Thorold Mary etwas aufmerksamer zu betrachten. Dann hob sie zitternd die Hand an die Stirn. »Dieses unsägliche Chaos ist mir ganz schrecklich an die Nerven gegangen. Ich ziehe mich in mein Boudoir zurück und will unter keinen Umständen gestört werden. Wenn ich wieder herauskomme, bist du fort.«
Sobald sie aus dem Raum gehumpelt war, trat Mary an den Tisch mit den Getränken. Sie goss zwei ordentliche Brandys ein und reichte sie den Grays. »Trinken Sie das.«
Während des tiefen Schweigens, das folgte, stürzte Michael seinen Brandy mit einem Zug hinunter, goss sich erneut ein und wiederholte den Vorgang. Angelica trank wie benommen in kleinen Schlucken. Nur das Ticken der Uhr durchbrach die Stille.
Es vergingen volle zehn Minuten, ehe wieder jemand sprach. Angelica brach das Schweigen. »Heute Morgen habe ich gebetet, unabhängig zu werden. Es sieht so aus, als ob mein Gebet erhört worden ist.« Ihr Ton war trocken und emotionslos.
Mary suchte nach Anzeichen für einen hysterischen Anfall, konnte aber nichts entdecken.
Michael setzte sich und nahm ihre Hand. »Du kannst dich auf mich verlassen, Liebling.«
Angelica wandte sich ihm zu. »Wirklich?«
»Aber sicher kannst du das! Wir sind doch jetzt Mann und Frau!«
Sie sah Mary an. »Sind wir das?«
Mary war wie vor den Kopf gestoßen. »Ich war doch Ihre Trauzeugin.«
»Ich weiß. Sie haben ja die Dokumente unterschrieben.« Angelica leerte ihr Brandy-Glas. »Aber für zwanzig sehen Sie sehr jung aus, Mary.«
Mary spürte, wie ihr die Hitze über den Hals ins Gesicht stieg. »Wirklich?« Ihre Stimme klang heiser.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht jünger sind? Ziemlich viel jünger?«
Michael starrte beide bestürzt an. »Das ist doch lächerlich!«
Angelica war die ruhigste Person im Raum. »Wenn ich Ihr Alter schätzen sollte, Mary, würde ich sagen, sechzehn, höchstens siebzehn.«
Mary senkte den Kopf. »Es war nicht recht von mir, Sie zu täuschen. Aber ich wollte nur helfen.«
Michael versuchte, etwas zu sagen, aber Angelicas kühle Stimme schnitt sein Gestotter ab. »Es war nicht recht«, stimmte sie zu, »aber ich bin ziemlich froh darüber. Es gibt mir einen Grund, die Ehe annullieren zu lassen.«
Sowohl Mary als auch Michael drehten sich verblüfft zu ihr um.
»Angie? Liebling? Was sagst
Weitere Kostenlose Bücher