Ein verhängnisvolles Versprechen
nachmittags?«
»Wahrscheinlich wacht sie gerade erst auf.«
»Vielleicht sollten wir mal anrufen.«
Er bewegte sich nicht.
»Mit wir«, sagte Claire, »meinst du da mich?«
»Wenn du willst, kann ich das auch machen.«
Sie griff nach dem Telefon und tippte die Handynummer ihrer Tochter ein. Sie hatten Aimee letztes Jahr ein eigenes Handy gekauft. Aimee war mit einer Anzeige zu ihnen gekommen, in der stand, dass sie für nur zehn Dollar pro Monat eine dritte Karte bekommen konnten. Erik war hart geblieben. Aber Aimee hatte gequengelt, dass alle ihre Freundinnen – einfach alle! – ein Handy hätten, ein Argument, das Erik unausweichlich und jedes Mal zu der Bemerkung verleitete: »Wir sind aber nicht alle, Aimee.«
Doch darauf war Aimee vorbereitet gewesen. Sie hatte schnell eine Argumentationslinie eingeschlagen und auf die elterlichen Beschützergefühle angespielt. »Wenn ich mein eigenes Handy hab, können wir immer in Verbindung bleiben. Dann wisst ihr
immer, wo ich bin. Und falls ich je in eine gefährliche Situation gerate …«
Das hatte schon gereicht. Mütter kannten diese Gemeinplätze. Sex und Gruppenzwang mochten helfen, Waren zu verkaufen, aber das beste Verkaufsargument war allemal die Angst.
Der Anruf wurde direkt an die Mailbox geleitet. Aimees begeisterte Stimme – sie hatte die Nachricht sofort aufgenommen, als sie das Handy bekommen hatte – teilte Claire mit, dass sie eine Nachricht hinterlassen solle. Die wohlbekannte Stimme ihrer Tochter zu hören versetzte Claire einen Stich ins Herz, auch wenn sie überhaupt nicht wusste, warum.
Nach dem Piepton sagte Claire: »Hallo, Schatz, hier ist Mom. Ruf doch mal kurz an, ja?«
Sie legte auf.
Erik las immer noch die Zeitung. »Sie ist nicht rangegangen?«
»Herrje, wie bist du nur darauf gekommen? Vielleicht, weil ich sie gebeten habe, mich anzurufen?«
Die sarkastische Antwort ließ ihn die Stirn runzeln. »Wahrscheinlich ist der Akku leer.«
»Wahrscheinlich.«
»Sie vergisst immer, ihn aufzuladen«, sagte er kopfschüttelnd. »Bei wem hat sie geschlafen? Bei Steffi, oder?«
»Stacy.«
»Stimmt, ist ja auch egal. Vielleicht sollten wir bei Stacy anrufen.«
»Wieso?«
»Sie soll langsam mal nach Hause kommen. Bis Donnerstag muss sie noch ihr Projekt für die Schule fertig bekommen.«
»Heute ist Sonntag. Außerdem hat sie gerade ihre Uni-Zulassung gekriegt.«
»Und du meinst, ab jetzt kann sie sich dann gehen lassen?«
Claire reichte ihm das schnurlose Telefon. »Dann mach du das.«
»Gut.«
Sie sagte ihm die Nummer. Er tippte sie ein und hielt das Telefon ans Ohr. Im Hintergrund hörte Claire ihre jüngeren Töchter kichern. Dann rief eine: »Mach ich nicht!« Als am anderen Ende der Hörer abgenommen wurde, räusperte Erik sich. »Guten Tag, hier spricht Erik Biel. Ich bin Aimees Vater. Ich wollte nur wissen, ob Aimee noch bei Ihnen ist.«
Seine Miene zeigte keine Regung. Auch sein Tonfall veränderte sich nicht. Aber Claire sah, wie er das Telefon fester umklammerte, und spürte, wie etwas tief in ihrer Brust zerbrach.
12
Myron hatte zwei mehr oder weniger widersprüchliche Eindrücke von Miami. Erstens: Das Wetter war so schön, dass er hierher ziehen sollte. Zweitens: die Sonne – hier schien viel zu oft die Sonne. Alles war viel zu hell. Schon im Flughafengebäude musste er die Augen zusammenkneifen.
Für Myrons geliebte Eltern Ellen und Al Bolitar war das kein Problem, denn ihre Sonnenbrillen waren so groß, dass sie verdächtig nach Schweißerbrillen aussahen, wobei ihnen allerdings das modische Design fehlte. Beide waren zum Flugplatz gekommen, um ihn abzuholen. Myron hatte gesagt, das sei nicht nötig, er würde sich einfach ein Taxi nehmen, aber Dad hatte sich nicht davon abbringen lassen. »Ich hab dich doch immer vom Flugplatz abgeholt. Weißt du noch, wie du nach dem großen Schneesturm aus Chicago zurückgekommen bist?«
»Das ist achtzehn Jahre her, Dad.«
»Na und? Glaubst du, ich kenne den Weg nicht mehr?«
»Und es war am Newark Airport.«
»Achtzehn Minuten, Myron.«
Myron schloss die Augen. »Ich weiß.«
»Genau achtzehn Minuten.«
»Ich weiß, Dad.«
»So lange hab ich von unserem Haus zum Terminal A am Newark Airport gebraucht. Ich hab damals immer die Zeit gestoppt, weißt du noch?«
»Ja, ich weiß.«
Hier standen die beiden also, mit kräftiger Sonnenbräune und frischen Leberfl ecken. Als Myron die Rolltreppe verließ, stürzte Mom auf ihn zu und umarmte ihn, als schrieben
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