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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Dort spielten keine Kinder. Myron rührte sich nicht.
    Er kam nicht hierher, weil er ihren Tod noch betrauerte. Er kam her, weil er das nicht tat.

    Er erinnerte sich kaum noch an Brendas Gesicht. Ihr einziger Kuss … die Erinnerung daran … entsprang eher seiner Fantasie als der Erinnerung. Und genau das war sein Problem. Brenda Slaughter entglitt ihm immer mehr. Bald würde es sein, als hätte sie nie existiert. Also kam Myron nicht hierher, um Trost zu finden oder ihr die Ehre zu erweisen. Er kam hierher, damit er noch Schmerz empfand – weil sich die Wunden nicht so schnell schließen sollten. Er wollte noch schockiert sein, weil es ihm obszön vorkam, einfach so weiterzuleben und sich ohne weiteres mit dem, was ihr geschehen war, zu arrangieren.
    Das Leben ging weiter. Und das war gut so, oder? Die Empörung schlug hohe Wellen und flaute dann langsam wieder ab. Wunden verheilten. Doch wenn man das einfach so zuließ, starb die Seele früher als nötig.
    Deshalb stand Myron so lange mit geballten Fäusten da, bis sie zu zittern anfingen. Er dachte an den sonnigen Tag, an dem sie sie begraben hatten – und die schreckliche Art, auf die er sie gerächt hatte. Er dachte an seinen Frevel. Der Gedanke daran hätte ihn beinahe umgeworfen. Er bekam weiche Knie und geriet ins Schwanken, hielt sich aber auf den Beinen.
    Die Sache mit Brenda hatte er verpfuscht. Er hatte sie beschützen wollen. Er war zu hart vorgegangen – und dadurch hatte er sie umgebracht.
    Myron blickte aufs Grab hinab. Die Sonne wärmte seine Haut immer noch, trotzdem lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er fragte sich, warum er ausgerechnet heute hergekommen war, und dann dachte er an Aimee, an den zu großen Druck, den er ausübte, an den Wunsch, Menschen zu beschützen, und dann lief ihm noch ein kalter Schauer über den Rücken, als er dachte – nein, fürchtete –, ihm könnte womöglich wieder das Gleiche passiert sein.

11
    Claire Biel stand an der Spüle und starrte den Fremden an, den sie ihren Mann nannte. Erik aß vorsichtig ein Sandwich. Dazu hatte er sich die Krawatte ins Hemd gesteckt, und die perfekt auf ein Viertel gefaltete Zeitung lag vor ihm auf dem Tisch. Er kaute bedächtig. Er trug Manschettenknöpfe. Sein Hemd war gestärkt. Er mochte gestärkte Hemden. Er trug nur gebügelte Kleidung. Seine Anzüge hingen im Schrank genau zehn Zentimeter voneinander entfernt. Er maß nicht nach, um das so hinzukriegen, es ergab sich einfach so. Seine jederzeit frisch geputzten Schuhe standen in Reih und Glied wie bei einer Militärparade.
    Wer war dieser Mann?
    Ihre beiden jüngsten Töchter, Jane und Lizzie, verschlangen gerade Erdnussbuttersandwiches mit Gelee. Sie plapperten mit ihren klebrigen Mündern. Sie machten Lärm. Ihre Milch hinterließ kleine Spritzer auf dem Tisch. Erik las weiter. Jane fragte, ob sie gehen konnten. Claire bejahte. Beide schossen zur Tür.
    »Halt«, sagte Claire.
    Sie blieben stehen.
    »Teller in die Spüle.«
    Sie seufzten und verdrehten die Augen – obwohl sie erst neun und zehn Jahre alt waren, waren sie bei einer der Besten auf diesem Gebiet in die Lehre gegangen, bei ihrer großen Schwester. Sie stapften zurück, als müssten sie gegen den winterlichen Tiefschnee der Adirondacks ankämpfen, und schleppten ihre Teller, die schwer wie Felsbrocken sein mussten, den steilen Weg zur Spüle bergan.
    »Danke«, sagte Claire.
    Sie verschwanden. Jetzt war es still in der Küche. Erik kaute unhörbar.
    »Ist noch Kaffee da?«, fragte er.
    Sie goss ihm eine Tasse ein. Er schlug die Beine übereinander,
achtete dabei sorgfältig darauf, dass die Hose keine Falten warf. Sie waren seit neunzehn Jahren verheiratet, die ursprüngliche Leidenschaft hatte sich jedoch nach nicht einmal zwei davon aus dem Staub gemacht. Jetzt traten sie auf der Stelle, und das taten sie schon so lange, dass es ihnen nicht einmal mehr schwerfiel. Eins der ältesten Klischees überhaupt besagte, dass die Zeit in höherem Alter immer schneller verflog, und genau das galt auch für sie. Die Zeit, seit die Leidenschaft verschwunden war, erschien ihnen gar nicht so lang. Manchmal, so wie jetzt, erinnerte sie sich in seiner Gegenwart noch an eine Zeit, in der es ihr schon den Atem verschlagen hatte, wenn sie ihn nur ansah.
    Ohne aufzublicken fragte Erik: »Hast du was von Aimee gehört?«
    »Nein.«
    Er streckte den Arm, schob den Ärmel hoch, sah auf die Uhr und zog eine Augenbraue hoch. »Um zwei Uhr

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