Ein verhängnisvolles Versprechen
sie das Jahr 1974, und er wäre gerade aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Dad blieb im Hintergrund und lächelte zufrieden. Myron erwiderte die Umarmung. Mom schien kleiner geworden zu sein. So war das hier im Süden. Die Eltern trockneten langsam aus, wurden immer dunkler und kleiner wie riesige Schrumpfköpfe.
Mom sagte: »Komm, gehen wir dein Gepäck holen.«
»Das hab ich hier in der Hand.«
»Das ist alles? Nur eine Tasche?«
»Ich bleib doch nur eine Nacht.«
»Trotzdem.«
Myron sah ihr ins Gesicht und beobachtete ihre Hände. Als er sah, dass das Zittern stärker geworden war, traf ihn das wie ein Schlag auf die Brust.
»Was ist?«, fragte sie.
»Nichts.«
Mom schüttelte den Kopf. »Du warst schon immer ein ganz schlechter Lügner. Weißt du noch, wie ich reingeplatzt bin, als du mit Tina Ventura in deinem Zimmer warst und du gesagt hast, dass nichts passiert ist? Hast du gedacht, dass ich das nicht gemerkt habe?«
Das war im vorletzten High-School-Jahr gewesen. Wenn er Mom und Dad fragte, was sie gestern gemacht hatten, konnten sie sich nicht daran erinnern. Wenn er sie nach irgendeiner obskuren Begebenheit aus seiner Jugend fragte, war es, als hätten sie sich die ganze Nacht lang Wiederholungen angesehen.
Er hob die Hände und ergab sich. »Jetzt habt ihr mich erwischt.«
»Tu nicht so gescheit. Apropos gescheit.«
Sie kamen zu Dad. Myron gab ihm einen Kuss auf die Wange. Das machte er immer. Er würde auch nie damit aufhören. Seine Haut war schlaff. Der Duft von Old Spice war noch da, allerdings schwächer als sonst. Da war noch etwas anderes, ein anderer Geruch, den Myron für den Geruch des Alters hielt. Sie gingen zum Wagen.
»Rat mal, wen ich letztens getroffen habe?«, sagte Mom.
»Wen?«
»Dotte Derrick. Erinnerst du dich noch an sie?«
»Nein.«
»Natürlich erinnerst du dich an sie. Sie hatte dieses Ding, wie heißt das noch, du weißt schon, dieses Ding im Garten stehen.«
»Ach, richtig. Die. Mit dem Ding im Garten.«
Er hatte keine Ahnung, von wem sie sprach, aber so war es einfacher.
»Jedenfalls hab ich Dotte vor ein paar Tagen getroffen, und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Sie ist mit Bob vor vier Jahren hierher gezogen. Die beiden haben eine Wohnung in Fort Lauderdale, Myron, aber das ist da wirklich ganz schön runtergekommen. Da hat sich einfach keiner richtig drum gekümmert. Al, wie heißt das da noch, wo Dotte wohnt? Sunshine Vista oder so, stimmt’s?«
»Wen interessiert das?«, sagte Dad.
»Danke, du bist mal wieder eine große Hilfe. Jedenfalls wohnt Dotte da jetzt. Und es ist ziemlich schrecklich. So runtergekommen. Sag doch mal, Al, ist es da, wo Dotte wohnt, nicht ziemlich runtergekommen?«
»Komm zur Sache, El«, sagte Dad. »Jetzt komm endlich zur Sache.«
»Ich komm schon zur Sache. Einen Moment noch. Wo war ich?«
»Dotte Irgendwas«, sagte Myron.
»Derrick. Du erinnerst dich an sie, stimmt’s?«
»Sehr gut«, sagte Myron.
»Na prima. Jedenfalls hat Dotte noch ein paar Cousins oben im Norden. Die Levines. Erinnerst du dich an sie? Müsstest du eigentlich. Und einer von ihren Cousins wohnt in Kasselton. Kasselton kennst du doch, oder? Ihr habt oft gegen die gespielt, als du in der High School warst …«
»Ich kenne Kasselton.«
»Du brauchst jetzt aber nicht schnippisch werden.«
Dad breitete die Arme aus und hob sie zum Himmel: »Zur Sache, El. Komm zur Sache.«
»Richtig, entschuldige, Al. Da hast du Recht. Wo du Recht hast, hast du Recht. Also, um es kurz zu machen …«
»Nein, El, du hast noch nie etwas kurz gemacht«, sagte Dad. »Du hast schon oft etwas in die Länge gezogen, aber kurz gemacht hast du noch nie im Leben was.«
»Kann ich jetzt weiterreden, Al?«
»Als könnte dich jemand davon abhalten. Selbst ein Gewehr oder ein Panzer könnte dich nicht stoppen.«
Myron konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Meine Damen und Herren, Ellen und Alan Bolitar, oder wie Mom gerne sagte: »Wir sind El Al – Sie wissen schon, wie die israelische Fluggesellschaft.«
»Jedenfalls hab ich mich mit Dotte über dies und das unterhalten. Du weißt schon, das Übliche. Die Ruskins sind aus der Stadt gezogen. Gertie Schwartz hat Gallensteine. Antonietta Vitale, die ist aber auch wirklich ein hübsches Ding, hat einen Millionär aus Montclair geheiratet. Solche Sachen. Und dann hat Dotte mir erzählt – das war übrigens Dotte, die mir das erzählt hat, nicht etwa du –, Dotte meinte, dass du mit einer Frau
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