Ein verhängnisvolles Versprechen
hatten eine ganz andere Ausstrahlung.«
»Und Joan Rochester hat nichts ausgestrahlt?«
»Doch schon, aber nicht, dass ihre Tochter vermisst wird. Ich hab versucht, sie allein zu erwischen und sie gebeten, mir beim Kaffeekochen zu helfen. Aber das hat nichts gebracht. Ich bin aber ganz sicher, dass sie was weiß. Die Frau hat zwar Angst, aber eine ganz andere Angst als ich.«
Myron überlegte. Dafür konnte es unzählige Erklärungen geben – darunter natürlich die ganz naheliegende, dass Menschen unterschiedlich auf Stress reagieren –, aber er vertraute Claires Intuition. Die Frage war nur, was bedeutete das? Und wie sollte er damit umgehen?
»Da muss ich noch in Ruhe drüber nachdenken«, sagte er schließlich.
»Hast du mit Mr Davis gesprochen?«
»Noch nicht.«
»Und mit Randy?«
»Ich bin dabei. Deshalb brauche ich deinen Wagen. Die Polizei hat mich heute vom Schulgelände gejagt.«
»Warum?«
Er wollte Randys Vater nicht ins Spiel bringen, also sagte er: »Weiß ich noch nicht. Pass auf, ich muss los, ja?«
Claire nickte und schloss die Augen.
»Ihr wird schon nichts passiert sein«, sagte Myron und trat auf sie zu.
»Bitte«, Claire hob eine Hand, »verschwende deine Zeit nicht damit, mir Plattitüden aufzutischen, okay?«
Er nickte und setzte sich in ihren SUV. Er überlegte, wohin er jetzt fahren sollte. Zurück zur High School? Vielleicht konnte er den Rektor davon überzeugen, dass es sinnvoll war, Randy oder Harry Davis in sein Büro zu bestellen. Aber was dann?
Das Handy klingelte. Wieder zeigte das Display nichts an. Diese Rufnummernübermittlung war ziemlich nutzlos. Die Leute, mit denen man nicht sprechen wollte, schalteten sie sowieso ab.
»Hallo?«
»Na, mein Hübscher. Ich habe gerade deine Nachricht abgehört.«
Es war Gail Berruti, seine Kontaktfrau bei der Telefongesellschaft. Die Drohanrufe von dem Spinner hatte er schon fast vergessen. Er fand sie auch nicht so wichtig, sie kamen ihm beinah wie ein kindischer Scherz vor, aber es konnte natürlich vielleicht – nur ganz vielleicht – eine Verbindung geben. Claire hatte behauptet, Myron brachte Zerstörung mit sich. Vielleicht war jemand aus seiner Vergangenheit hinter ihm her? Vielleicht war Aimee irgendwie zwischen die Fronten geraten?
Das kam ihm aber äußerst unwahrscheinlich vor.
»Ich hab ja seit Ewigkeiten nichts von dir gehört«, sagte Berruti.
»Ja, ich war ziemlich beschäftigt.«
»Oder eben nicht beschäftigt genug. Wie geht’s dir denn so?«
»Eigentlich ganz gut. Konntest du die Nummer zurückverfolgen?«
»Ich habe sie nicht zurückverfolgt, Myron. Das hast du in deiner Nachricht schon so formuliert. Wir verfolgen hier nichts zurück. Ich muss sie nur nachgucken.«
»Ist ja auch egal.«
»Nein, ist es nicht. Du weißt es nämlich besser. Das ist wie im Fernsehen. Du weißt schon, wo sie das Gespräch immer in die Länge ziehen müssen, damit der Anruf zurückverfolgt werden kann. Das ist absoluter Blödsinn. Man weiß von Anfang an, wer der Anrufer ist. Das dauert vielleicht zwei Sekunden. Warum machen die das?«
»Ist einfach spannender«, sagte Myron.
»Es ist idiotisch. Müssen die beim Fernsehen immer alles verhunzen? Letztens hab ich einen Krimi gesehen, da hatten die nach fünf Minuten das Ergebnis eines DNA-Tests. Mein Mann arbeitet im kriminalistischen Labor vom John Jay College. Die sind froh, wenn sie nach einem Monat ein DNA-Testergebnis haben. Aber alles, was mit Telefonen zu tun hat und was man innerhalb von ein paar Minuten am Computer erledigen kann, dauert bei denen ewig. Und dann legt der Täter immer gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie seinen genauen Aufenthaltsort haben. Hast du je einen Krimi gesehen, in dem ein Anruf erfolgreich zurückverfolgt worden ist? Das kommt nie vor. Und das nervt mich einfach.«
Myron versuchte, Berruti wieder aufs Thema zu bringen. »Hast du die Nummer nachgeguckt?«
»Sie liegt vor mir. Ist aber schon komisch: Was willst du damit?«
»Seit wann interessiert dich das?«
»Da hast du auch wieder Recht. Also los. Erstens, der Anrufer wollte anonym bleiben. Der Anruf kam von einem Münztelefon.«
»Und wo steht das?«
»Vor dem Haus an der Livingston Avenue Nummer 110 in Livingston, New Jersey.«
Im Stadtzentrum, dachte Myron. Bei seiner Starbucks-Filiale und seiner Reinigung. Myron überlegte. Eine Sackgasse? Vielleicht. Aber dann kam ihm ein Gedanke.
»Du musst mir noch zwei Gefallen tun, Gail«, sagte Myron.
»Heißt Gefallen,
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