Ein Versprechen aus Afrika
Leben als Grundschullehrerin gearbeitet hatte, ging sie in Rente. Um ihre Freizeit auszufüllen, suchte sie nach einer Beschäftigung. Und da sie zudem alleine war — als geborene Favier hatte sie einen gewissen Ahmed Youbi geheiratet, dessen Witwe sie war — , mangelte es ihr nicht gerade an Zeit.
Während sie tagelang untätig herumsaß, dachte Gisèle unter anderem über die Geschichte des amerikanischen Mallet nach. Da kam ihr eine Idee. Und zwar wegen des Namens. Mallet ist einer der häufigsten französischen Familiennamen. Man muss nur ins Telefonbuch schauen oder im Internet nachsehen, um sich davon zu überzeugen. Genau das tat auch Gisèle Youbi. Sie schlug im Telefonbuch des Haute-Vienne nach. Allein in diesem Departement wohnten über hundert. Wie viele mochte es dann wohl in ganz Frankreich geben?
Und so entstand in ihrem Kopf nach und nach ein Plan. Wenn man diesen Leuten sagte, dass sie für einen bescheidenen Mitgliedsbeitrag vielleicht eine fabelhafte Erbschaft antreten könnten, wie viele würden dann wohl anbeißen?
Um darauf eine Antwort zu erhalten, war es am besten, die Probe aufs Exempel zu machen. Gisèle Youbi schrieb an alle Mallets Frankreichs, sogar an alle Malets mit nur einem einzigen »l«, um niemanden zu benachteiligen. Insgesamt einige zehntausend Briefe. Das war der einzige Nachteil an der Sache: die erste Investition. Dafür gab sie ein kleines Vermögen an Briefmarken aus. Doch wenn sie Recht behielt, müsste sie bald auf ihre Kosten kommen. Auf jeden Fall waren die Würfel gefallen und sie konnte jetzt nur noch warten.
»Nach meiner Schätzung müsste sich das Vermögen Ihres Vorfahren auf 259 000 000 000 alte Franc belaufen! «
Ein verblüfftes »Oh!« stieg aus der Menge der in einem Kino von Limoges versammelten Zuhörer auf.
Allerdings war die angekündigte Summe auch wirklich gewaltig, sogar kaum vorstellbar. Nach heutigem Maßstab entsprach sie etwa drei Milliarden Euro.
Gisèle Youbi legte eine Kunstpause ein. Eigentlich sollte man »Prinzessin Ayoubi« sagen, weil sie beschlossen hatte, einen Namen anzunehmen, der harmonischer und zugleich eindrucksvoller klang. Sie gab sich also als Prinzessin Ayoubi aus, als Witwe eines Emirs aus Turkestan, der sich um ihrer schönen Augen willen duelliert hatte und dabei getötet worden war. Von dem Podest, auf dem sie stand, blickte sie auf die ihr zugewandten Gesichter herab. Etwa dreihundert Personen waren anwesend und bildeten ein sehr heterogenes Publikum. Man sah dort junge und weniger junge Leute, darunter sogar Ehepaare, die mit ihren Kindern gekommen waren, und Mütter mit Babys auf den Armen, reiche und weniger reiche, Bauern und Stadtmenschen. Sie alle hatten eines miteinander gemein: ihren Namen. Sie hießen Mallet.
Gisèle Youbi hatte allen Grund, zufrieden zu sein. Immerhin waren dreihundert Personen aus ganz Frankreich angereist, um sich ihren Vortrag anzuhören, und mehrere tausend hatten auf ihren Rundbrief geantwortet. Sie hatte Recht behalten. Ihre Idee war genau richtig gewesen.
Gisèle Youbi... Verzeihung... Prinzessin Ayoubi spürte, wie ihr alle Mallets an den Lippen hingen, und erzählte die Geschichte, auf die alle warteten.
»Ihr Vorfahre, Joseph Jean-Pierre Mallet, wurde am 22. Januar 1759 in Saint-Victurnien im Departement Haute-Vienne geboren. Als jüngstes von elf Kindern wurde er von seinem Vater, einem königlichen Staatsanwalt, ins Priesterseminar von Limoges gesteckt. Da er jedoch kein Priester werden wollte, floh er und schiffte sich in La Rochelle als blinder Passagier ein. Zu seinem Glück wurde er während der Reise nicht erwischt und kam in Amerika an. Und dort hatte er noch mehr Glück, das Glück seines Lebens. In Louisiana rettete er eine reiche Erbin, eine Kreolin, aus ihrem brennenden Herrenhaus und heiratete sie. Da die ganze Familie des Mädchens in den Flammen umgekommen war, waren die beiden steinreich und kauften Ländereien in Maine und Vermont. Beide starben 1816. Kurz vor seinem Tod schrieb Joseph Jean-Pierre Mallet seinen Brüdern. Sie sollten kommen, um ihr Erbe anzutreten. Doch aus Ungläubigkeit oder aus Geldmangel traten sie die Reise nie an. Heute nimmt der Besitz der Mallets in den Vereinigten Staaten etwa die Fläche von sechs französischen Departements ein. Aber das ist noch nicht alles, weil Jean-Pierre, abgesehen von diesem Grundbesitz, auch Ölquellen und Goldminen besaß. Das alles könnte Ihnen gehören, wenn Sie wollen...«
Diese Worte wurden im Kino
Weitere Kostenlose Bücher