Ein Versprechen aus Afrika
Deker genierte sich, die lächerlich niedrige Summe zu nennen, auch wenn sie das Ergebnis von fünfundzwanzig Jahren Entbehrungen waren. Er sagte wie zu seiner Entschuldigung: »Sechsundfünfzigtausend Gulden.«
Der Präsident lächelte verständnisvoll.
»Beim GDK gibt es weder reich noch arm. Sie gehören zu uns, Herr Deker. Die Präsident Adrian läuft genau in drei Wochen aus. Mein Freund Cornelius Wouters, der Schatzmeister unseres Verbands, gibt Ihnen alle Anweisungen für die Überweisung.«
Die Tage, die dann folgten, vergingen für Franz Deker wie im Traum. Er räumte sein Bankkonto ab, löste sein Sparbuch auf, verkaufte seine Aktien, seine Möbel, einfach alles, was irgendwie verkäuflich war, einschließlich der Bücher, die er nicht mit auf die Reise nehmen wollte. Anschließend kündigte er natürlich seine Arbeitsstelle beim Schul- und Hochschulwesen. Seine Kollegen, die über diese brüske und unverständliche Entscheidung ziemlich verblüfft waren, veranstalteten eine kleine Abschiedsfeier für ihn und schenkten ihm einen wunderschönen goldenen Füllfederhalter.
Dann endlich kam der verheißungsvolle Tag. Am 15. Februar 1951 fuhr Franz Deker nach Rotterdam, wo die Präsident Adrian auf ihn wartete. Er war glücklich und wiederholte immer wieder, ohne daran wirklich glauben zu können: »Ich bin gerettet!«
Als er mit seinen beiden schweren Koffern voller Bücher, die er sorgfältig ausgewählt hatte, um die Überlebenden des Dritten Weltkriegs zu unterhalten und fortzubilden, an den Kais ankam, strahlte sein Gesicht vor Vorfreude. Die Präsident Adrian war bereits da. Es handelte sich um eine imposante Luxusyacht, ein echtes Milliardärsschiff. Eigentlich hatte er von dem sagenhaft reichen GDK nichts anderes erwartet, doch war er dennoch etwas verwundert. Was eigentlich ein Schiff der Geretteten hätte sein sollen, erwies sich von Anfang an eher als eine Art Kreuzfahrtschiff.
Und in den nächsten Momenten bestätigte sich sein Eindruck. Alle waren charmant: Cornelius Wouters, der Notar, der ihn oberhalb der Gangway mit seiner reich verzierten Uniform und seinem federgeschmückten Dreispitz erwartete, der Kapitän, die Mannschaft und natürlich der Präsident Adrian de Wit, der ihn persönlich in seiner marineblauen Uniform begrüßte. Anschließend lernte Franz Deker seine Reisegefährten kennen, also die anderen Auserwählten. Es waren alles wohlhabende Bürger aus Maastricht und Umgebung. Franz stellte etwas überrascht fest, dass alle Holländer waren. Er hätte eher angenommen, dass eine Weltorganisation wie der GDK die bedeutendsten Persönlichkeiten eines jeden Landes ausgewählt haben würde. Doch der Präsident hatte sicherlich seine Gründe, die einem normal Sterblichen unverständlich waren.
Mit großem Sirenenlärm stach die Präsident Adrian in See. Franz Deker verspürte keine Gewissensbisse, als sie sich langsam vom Hafen von Rotterdam und der holländischen Küste entfernten. Natürlich wusste er, dass alle Menschen, die er zurückgelassen hatte, dem Untergang geweiht waren. Trotzdem fing für ihn das Leben jetzt erst an. Mit fünfzig Jahren, nach einem langen Leben des Pflichtbewusstseins und der Prinzipien, genoss er endlich das Vergnügen, egoistisch zu sein.
Das Schiff des GDK folgte dem Kurs nach Süden. Über dem Mast wehte die Flagge des Verbandes, eine Weltkugel, die von Eichenblättern umgeben war. Franz Deker war, genau wie die anderen Passagiere, luxuriös untergebracht. Er hatte eine private Kabine mit eigenem Bad. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solchen Luxus erlebt. Er nahm die Bücher aus dem Koffer und ordnete sie sorgfältig in den Kabinenschrank ein. Er hatte den Eindruck, in gewisser Weise das Gewissen und den Geist dieser kleinen Gruppe von Menschen, die alle anderen überleben sollten, zu symbolisieren. Er glaubte, eine Mission erfüllen zu müssen.
Im Augenblick jedoch war das Leben an Bord der Präsident Adrian alles andere als fromm und förmlich. Ganz im Gegenteil. Die erste Mahlzeit, die gemeinsam im luxuriösen Speisesaal eingenommen wurde, war ein regelrechtes Festmahl. Franz Deker, der bisher nur bei großen Anlässen Wein getrunken hatte und dann auch eigentlich eher gezwungenermaßen, entdeckte, dass Champagner keineswegs eine Erfindung des Teufels war, wie es die französischen Papisten und andere Abstinenzler glaubten. Auch er war bisher dieser Überzeugung gewesen. Beim vierten Glas stieß er mit seiner Nachbarin an, der Witwe eines
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