Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
hinein. Die cannoli waren so süß und so geschmacksintensiv, dass sie fast zu viel für den Gaumen waren. Aber sie musste sie in ihre Sammlung aufnehmen. Keine Lücken. Ihre Erzählung sollte lückenlos sein.
Also, erzählen wir den Rest der Geschichte, dachte Flavia.
Weniger als ein Jahr nach Lennys und Flavias Hochzeit tauchte Peter zum ersten Mal im Azurro auf.
Flavia arbeitete ausnahmsweise im Gastraum, da Lenny wegen einer Lieferung außer Haus war.
Sie traute ihren Augen kaum. Jetzt wusste sie genau, wie er sich an diesem Abend in Exeter gefühlt hatte. Sie starrte ihn an, und er erwiderte ihren Blick. Er sah noch genauso aus wie damals; sein blondes Haar war ein wenig länger und dünner, aber seine hohen Wangenknochen, diese Augen … Er war kaum gealtert, obwohl er inzwischen auf die dreißig zugehen musste. Wie war es möglich, dass seit ihrer letzten Begegnung so viel passiert war und er sich trotzdem so wenig verändert hatte?
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie schließlich.
»Das war nicht einfach.« Immer noch sahen sie einander in die Augen. Eine andere Zeit, dachte sie. Eine andere Zeit, ein anderer Ort. Er streckte die Hand aus, und sie legte ihre hinein. Seine Finger schlossen sich wie Flammenzungen um ihre.
Gäste kamen und unterbrachen diesen intimen Augenblick. Flavia bediente sie, aber sie war sich die ganze Zeit über des festen Blicks aus seinen blauen Augen bewusst, des fragenden Ausdrucks, der um seinen Mund spielte.
Er setzte sich in die Ecke, ans Fenster, und sie brachte ihm italienischen Kaffee und ein Gebäckstück. Kurz nahm sie ihm gegenüber Platz, um seinen Anblick ganz in sich aufzunehmen. Es war Februar, und draußen regnete es. Der Februar war in England immer der deprimierendste Monat. Aber Peter war wie der Sonnenschein, immer schon.
»Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht«, erklärte er. »Es war nur so ein Schock, dich zu sehen.«
»Nein, du hast das Richtige getan.« Sie dachte an seine Frau und sein Kind.
Er schüttelte den Kopf. »Wir waren niemals glücklich«, sagte er. »Wie kann man glücklich sein, wenn man immer noch jemand anderen liebt?«
Flavia dachte an Lenny. Er war ein guter Mensch. Bald würde er zurückkommen, und sie wollte ihn nicht verletzen. »Man kann ein anständiges Leben führen«, gab sie zurück. »Zufrieden sein.« Doch tief in ihrem Inneren sehnte sie sich danach, die Hand nach Peter auszustrecken, sein Gesicht zu streicheln, sein Haar zu berühren und seine Lippen zu küssen. Sie sehnte sich danach, seinen hochgewachsenen, schlanken Körper nah an ihrem zu fühlen. All das hatte sie nie wirklich gekannt, und sie war sich ihrer Trauer und Bitterkeit bewusst.
Als hätte er ihre Körpersprache gelesen, streckte er eine Hand nach ihr aus und schlang eine ihrer dunklen Locken um seinen Zeigefinger. Er legte die rechte Hand an ihre Wange, und sie schmiegte sich hinein. Nur einen winzigen Augenblick lang, sagte sie sich.
»Ich habe Molly verlassen«, erklärte er.
Sie richtete sich kerzengerade auf. »Und dein Sohn?« Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren lächerlich förmlich.
Er seufzte. »Ich sehe ihn, so oft ich kann. Aber ich wohne nicht mehr dort. Ich kann so nicht leben.«
Sanft berührte sie seine Hand. »Ich habe inzwischen geheiratet«, sagte sie.
»Ja.« Er nickte. Das schien ihn nicht zu überraschen. »Natürlich, meine wunderschöne Flavia. Jeder Mann, der etwas taugt, würde dich für sich haben wollen.«
Sie spürte, wie sich in ihr etwas regte. Glühend heiß stieg die Erinnerung an den Mann, den sie auf Sizilien gepflegt hatte, in ihr auf. »Es tut mir leid«, sagte sie.
»Liebst du ihn?« Seine blauen Augen blitzten. »Sag mir das.«
Nicht so, wie ich dich liebe, dachte sie. »Ja, ich liebe ihn«, antwortete sie.
Kurz darauf ging er, nachdem er ihren Arm berührt und ihr leicht, ganz leicht einen Kuss aufs Haar gehaucht hatte. »Lebe wohl, Flavia«, sagte er.
Sekunden später trat Lenny ein, der aus Dorchester zurück war. Er warf ihr einen merkwürdigen Blick zu, sagte aber nichts. Vielleicht hatte er Peter nicht gesehen; vielleicht wollte er sich nicht daran erinnern, wer er war. Er sagte auch nichts, als Flavia in dieser Nacht in ihr Kissen weinte. Aber er atmete schwer. Vielleicht schlief er ja schon.
Aber als er ihr im Krankenwagen diese Frage gestellt hatte, als er wissen wollte, ob sie glücklich gewesen seien, da wurde ihr klar, dass er immer von Peters Besuch gewusst und sich diese
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