Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Frage immer gestellt hatte. Und daher …
61. Kapitel
W ie vereinbart ging Tess zu dem Treffen mit Giovanni in der Bar im baglio . Die Luft war stickig, und es war so drückend, als stünde ein Unwetter unmittelbar bevor. Tess schob sich das Haar aus dem Gesicht; ihr war warm, und sie war schon ganz verschwitzt. Weil Giovanni noch auf sich warten ließ – kamen Sizilianer nicht immer zu spät? –, holte sie sich schon einmal einen Caffè Latte und ein cannolo und suchte sich einen Platz an einem Fenster, von dem aus sie Toninos Atelier nicht sehen konnte. Wieder grübelte sie über Davids Brief nach. Und über das Geld. So viel Geld.
Tess fragte sich, wie man Unterhaltszahlungen für über achtzehn Jahre berechnete. Sie kostete den Kaffee. Er war cremig, mit einem kleinen Espressowirbel im Milchschaum. So viele Faktoren waren zu berücksichtigen: Inflation und Zinsen, Klassenfahrten und Urlaube, Weihnachtsgeschenke und ihre Hypothek. Ganz zu schweigen vom Essen. Und dann noch die Kinderbetreuung rund um die Uhr, die eine Mutter leistete, ohne groß darüber nachzudenken. Trotzdem … Fünfzigtausend Pfund waren viel Geld. Sie biss in die knusprige Gebäckhülle; die süße Füllung fühlte sich auf ihrer Zunge dick und glatt an.
» Ciao , Tess.« Giovanni war hereingerauscht, ohne dass sie es bemerkt hatte. Er sah abgehetzt aus, und sein Gesicht war leicht gerötet, was ungewöhnlich war. Sie überlegte, woher er wohl kam.
Er küsste sie auf die Wangen, bestellte Espresso mit einem Schuss heißer Milch und nahm ihr gegenüber Platz. Aus einer schmalen schwarzen Aktentasche, die er bei sich trug, zog er eine braune Mappe aus Pappe hervor.
Das sieht ja sehr geschäftsmäßig aus, dachte Tess und wischte sich Gebäckkrümel von den Fingern. »Was ist das?«, erkundigte sie sich.
»Ein einfacher Vertrag über das Darlehen«, erklärte er. »Sie werden sich freuen zu hören, dass alles geregelt ist.«
Tess trank ihren Kaffee. Nach der klebrigen Süße des cannolo schmeckte er bitter. Nein, sie freute sich nicht. Tatsächlich spürte sie einen Anflug von Nervosität. Wie sollte sie es ausdrücken, ohne ihn zu beleidigen? »Das ist toll, Giovanni«, sagte sie. »Und ich weiß wirklich zu schätzen, was Sie alles für mich getan haben, aber …«
»Das war doch nichts.« Er wedelte mit den Armen, um anzudeuten, wie viel »nichts« es gewesen war. »Ich helfe gern.« Er schlug sich an die Brust, um seine Worte zu unterstreichen. »Es ist niemals einfach, die Finanzierung für solche Projekte aufzutreiben. Daher bin ich überglücklich, dass ich dies für Sie tun kann.«
Ach du meine Güte, dachte Tess. Das war alles so übertrieben, so theatralisch. Trotzdem sah er nicht überglücklich aus. Und was war das da an seinem Kragen, ein Lippenstiftfleck? Sollte sie, oder sollte sie nicht? Dass Davids Brief ausgerechnet jetzt gekommen war, kam ihr wie Schicksal vor.
»Je eher wir beginnen, umso schneller sind wir fertig.« Giovanni bemächtigte sich ihres Tellers und seines Espressos und schob beides zur Seite, genau wie er alles sofort in die Hand nahm. Er breitete den Inhalt der Mappe aus. »Ich habe mit dem Handwerker gesprochen«, erklärte er. » Allora . Er kann nächste Woche anfangen.«
Tess blinzelte verblüfft. Sie hatte sich nicht einmal mit dem Handwerker einverstanden erklärt; tatsächlich hatte sie seinen Preis für ziemlich hoch gehalten und Pierro gebeten, ihr eine andere Firma zu empfehlen, damit sie die Kostenvoranschläge vergleichen konnte. Der andere Handwerker würde sich morgen in der Villa vorstellen. Außerdem hatte ihr etwas an Giovannis Handwerker nicht gefallen, etwas an der Art, wie er ihr nicht richtig in die Augen sah. Er wirkte verschlagen.
»Wegen des Handwerkers bin ich mir nicht sicher«, erklärte sie ihm.
»Was stimmt denn nicht mit ihm?« Giovanni griff nach seinem Kaffee und trank einen großen Schluck.
»Nun ja, er leistet bestimmt gute Arbeit«, begann Tess.
»Er ist der Beste«, pflichtete Giovanni ihr bei.
»Aber er ist ziemlich teuer.« Zum Beweis kramte Tess den Kostenvoranschlag aus ihrer Handtasche.
Er riss ihn ihr aus der Hand und studierte ihn, wobei er leise Kommentare in sich hineinbrummte. »Das erscheint mir mehr als fair … Das ist in Ordnung … Hmmm, gut, ja … Das ist eindeutig richtig.«
Er kam zu einem Schluss. »Das ist ein äußerst vernünftiger Kostenvoranschlag«, erklärte er.
Warum erstaunte sie das jetzt nicht?
»Andere Handwerker
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