Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
alles, Gins. Er ist sowieso bald weg, zur Uni. Und dann?«
»Dann müssen wir aber ganz schön sparen«, sagte Ginny. Ihr Vater würde ihr vielleicht unter die Arme greifen, aber sie wollte einen Teil der Kosten selbst aufbringen.
»Nächsten Monat, zu meinem Achtzehnten, kriege ich eine Menge Moos«, erklärte Becca. »Von meiner reichen Tante Margaret. Sie hat selbst keine Kinder.«
»Bingo!« Das war es, dachte Ginny. Sie hatte einen Plan, eine Operationsbasis und eine Reisegefährtin. Und einen reichen Vater. Das musste man sich mal vorstellen: Letzte Woche noch war das einzig Bemerkenswerte an ihrem Leben gewesen, dass sie vielleicht schwanger war.
59. Kapitel
D er Brief kam ein paar Tage später. Sogar nach all der Zeit erkannte Tess Davids Handschrift sofort. Sie war schmal und kam ein wenig vornübergebeugt daher, genau wie er.
Sie widerstand dem Impuls, den Umschlag sofort aufzureißen. Stattdessen kochte sie Kaffee, nahm ihn mit auf die Terrasse und bewunderte einmal mehr die Aussicht auf die Bucht. Das Meer war heute ruhig wie ein Mühlteich und der Himmel von diesem tiefen Mittelmeerblau, das sie liebte. Eine Zeit lang ließ sie den Umschlag ungeöffnet auf dem Tisch liegen. Sollte er doch warten.
Unten im baglio erwachte langsam das Leben. Unter der silbrigen Krone des Eukalyptusbaums sah sie eine Gruppe von Männern auf der Bank neben dem steinernen Brunnen sitzen, die wahrscheinlich Domino oder Karten spielten. Ein paar Menschen kamen aus dem Café und liefen über das Kopfsteinpflaster. Sie sah Toninos Atelier und ihn selbst. Er ging hin und her und räumte Gegenstände von einem Platz an den anderen. Er war ruhelos, dachte sie. Und dickköpfig. Warum musste sie ausgerechnet einen Mann kennenlernen, der so verdammt stur war?
Gestern war sie wieder tauchen gegangen. Sein düsteres, zorniges Gesicht hatte ihr beim Vorbeigehen das Gefühl gegeben, Spießruten zu laufen. War er wütend, weil sie immer noch allein tauchte oder weil sie die Vertreterin einer Familie war, die einmal ein Mitglied seiner Familie entehrt hatte? Gott … Wie auch immer, das Ganze war eine geradezu verbrecherische Vergeudung von Zeit und aufregenden Gefühlen.
Vor Wut hätte sie beinahe mit dem Fuß aufgestampft, doch dann lachte sie einfach laut über sich selbst. Das war alles so albern. Sie warf einen letzten Blick auf das türkisfarbene Wasser der Bucht, il faraglione , die hohen Felsspitzen, die aus dem Meer ragten, und wandte sich dann endlich dem Brief zu.
Was war zu Hause los? Sie hatte in den letzten Tagen mit Ginny und Muma und Dad gesprochen, und es kam ihr alles ruhig vor. Uns geht es gut , hatten ihr alle versichert. Alles bestens … Kein Wunder, dass sie sich Sorgen machte.
Und nun zu David, dachte Tess und öffnete den Umschlag mit dem Daumennagel. Sie klappte nur den oberen Teil des Blatts auf, als könne es gefährlich sein, sich alles auf einmal anzusehen.
»Liebe Tess«, hatte er geschrieben. »Es ist eine Weile her.«
Eine typische Untertreibung. Sie schlug den Brief, der nur eine einzige Seite umfasste, ganz auseinander, und etwas fiel heraus. Ein Scheck. Sie hob ihn auf, starrte darauf und drehte ihn in den Händen. Ein Scheck über fünfzigtausend Pfund. Gott im Himmel!
Sie legte den Scheck beiseite und wandte sich erneut dem Brief zu. Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit.
»Hoffentlich macht es dir nichts aus, dass ich so einfach aufgetaucht bin, weil ich hoffte, unsere Tochter zu sehen«, schrieb er. Unsere Tochter … Das schmerzte. Auf einer Rangliste abwesender Väter wäre er die Nummer eins.
»Aber es ist etwas passiert, das mein Leben verändert hat. Ich bin zu Geld gekommen, Tess.«
Unwillkürlich lächelte sie. Der Ton, der aus seinen geschriebenen Worten sprach, kam ihr vertraut vor; er hatte sich kein bisschen verändert. Er war immer noch der David, den sie kennengelernt hatte, als er in der Pride Bay barfuß am Strand entlangging. Der David, der auf seiner Gitarre spielte und ihr Lieder vorsang. Der von Reisen in ferne Länder redete und ihr versprach, sie mitzunehmen. Der David, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, obwohl sie wusste, dass er nur ein Träumer war. Sie hatte gewusst, dass er sie begehrte. Aber ihr war auch von Anfang an klar gewesen, dass er keine Verantwortung tragen wollte, dass er keine Verpflichtungen und ganz bestimmt kein Kind wollte.
Tess hatte die Schwangerschaft nicht geplant, obwohl sie genauso unvorsichtig gewesen war wie er. Aber
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