Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
bewältigen, Tessie?«, fragte ihr Vater sie. Er blickte so weise drein wie immer.
»Wir werden sehen«, sagte Tess. Seit sie den Schatz geborgen hatten, hatten sie und Tonino sich oft getroffen, aber sie war sich über seine Absichten nicht im Klaren. War sie für ihn nur eine Freundin? Oder konnte mehr daraus werden?
»Und jetzt«, ließ sich Ginny hören, »erzähl uns von dem Schatz.« Ihre Augen leuchteten.
Also erzählte Tess die Geschichte, genau wie sie sie Millie erzählt hatte, ein paar Tage nachdem sie den Fund gemacht hatten. Ja, er könnte sehr viel Geld wert sein, ja, er war wunderschön anzusehen: Goldschmuck und Münzen, wahrscheinlich griechisch, und ja, zuerst entdeckt hatte ihn Luigi Amato.
»Und wo ist er jetzt?«, hatte sich Millie erkundigt, und ihre Augen hatten sich begierig geweitet. Tess wusste, dass sie im Geiste schon das Handy gezückt hatte, weil sie es kaum abwarten konnte, die Nachricht an jemanden weiterzugeben. Und sie wusste auch, wer dieser Jemand war.
»Du kannst Giovanni sagen, dass wir ihn nicht mehr haben«, hatte Tess ihr mitgeteilt. »Es ist sinnlos, dass er noch einmal in die Villa einbricht. Er ist nicht da.«
Zum ersten Mal, seit sie Millie kannte, fühlte die sich sichtlich unbehaglich. »Wovon redest du, Tess? Du glaubst doch wohl nicht, dass ich …«
Tess lachte. »Ich habe euch gesehen, Millie. Spar dir deine Worte.« An dem Tag nach dem Tauchgang mit Tonino war sie eilig zum Hotel gelaufen, weil sie es nicht abwarten konnte, Millie und Pierro von ihrem Fund zu erzählen. Pierro war geschäftlich unterwegs, und Millie saß nicht an der Rezeption, daher war sie zu ihren Privaträumen gegangen. Gerade als sie dort ankam, flog die Wohnungstür auf, und Giovanni kam heraus. Tess hatte sich hinter einer Kübelpalme geduckt und war sich vorgekommen wie eine Gestalt aus einem billigen Krimi. Giovanni sah ein wenig zerrupft und mitgenommen aus. Und als wäre das noch nicht Beweis genug gewesen, war Millie ihm gefolgt und hatte kichernd an seinem Ärmel gezupft, bis er sich umdrehte und ihr die Art von Kuss gab, die keinen Zweifel an der Art ihrer Beziehung mehr zuließ.
Das war Millies Angelegenheit, hatte sie sich gesagt und das Hotel verlassen. Um Giovanni nicht zu begegnen, hatte sie einen anderen Weg zurück zum baglio genommen. Unterwegs erinnerte sie sich an den Lippenstift an Giovannis Kragen, und sie erinnerte sich an das Mittagessen mit Millie im Hotel an dem Tag, an dem er in die Villa eingebrochen war. Millie hatte sie gar nicht gehen lassen wollen. Und da wurde es ihr klar. Alles, was sie Millie je anvertraut hatte, hätte sie ebenso gut gleich Giovanni erzählen können. Millie war nicht ihre Freundin, sie war es nie gewesen. In allererster Linie war sie Giovannis Geliebte. Sie hatte Tess mit Giovanni auf dem Markt gesehen, war eifersüchtig geworden und hatte beschlossen, sich mit ihr anzufreunden, um herauszufinden, was da los war. Dann hatte sie als Giovannis Spionin agiert. Auch das klang wieder nach einem schlechten Film, aber es war die Wahrheit.
Millie hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt und Tess kühl angesehen. »Warum bist du dann hier?«, fragte sie. »Um deinen Triumph zu genießen?«
Tess schüttelte den Kopf. »Wir wollten Giovanni wissen lassen, dass er sich endgültig von dem Gedanken, den Schatz zurückzuholen, verabschieden kann.«
An Toninos Entschluss war nicht zu rütteln gewesen. »Der tesoro hat den Amatos nie gehört«, sagte er. »Und er hat unserer Familie immer nur Blutvergießen eingebracht. Er gehört Sizilien, und Sizilien soll ihn zurückbekommen.«
Nicht alle Behörden auf Sizilien waren korrupt. Tess und Tonino hatten die richtigen Leute über ihren Fund informiert und waren sich ziemlich sicher, dass der Schatz nicht in die falschen Hände geraten würde. Er würde an ein Museum gehen, das dieses Erbe zu schätzen wusste, und nicht in die Hände einer raffgierigen, schmutzigen, korrupten Organisation fallen.
Millie war sehr still geworden.
Tess griff in ihre Handtasche und zog den Ring hervor. Sie hatte ihn in Seidenpapier eingewickelt. »Das kannst du Giovanni geben«, erklärte sie.
Nach kurzem Zögern wickelte Millie das Päckchen aus. Sie drehte den Ring in ihren Fingern. Tonino hatte ihn gut gesäubert, und die eingravierten Initialen ELS waren deutlich zu erkennen. »Wem …?«, begann sie.
»Wir glauben, dass er Giovannis Großvater gehört hat«, sagte Tess. »Ettore Sciarra. Du weißt schon, der
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