Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
und versucht, eure Probleme gemeinsam zu lösen?«
Delilah nickt und vergräbt das Gesicht an Mums Schulter, und ich streiche ihr übers Haar.
»Ich habe ihn nicht verdient«, hört man Delilahs dumpfe Stimme.
»Hast du wohl«, erklärt Mum entschieden und macht ein strenges Gesicht, wobei sie uns beide durchdringend ansieht. »Mädels, hört mir jetzt mal genau zu. Ich habe vielleicht Fehler gemacht in meiner Ehe – nein«, sie hebt die Hand, um unseren Widerspruch im Keim zu ersticken, »das habe ich, glaubt mir, das weiß ich. Aber ihr müsst mir eins versprechen.«
Wir nicken beide und halten sie noch immer fest.
»Ich möchte, dass ihr mir versprecht, euch nie für einen Mann zu verbiegen.«
Plötzlich fällt es mir schwer, meiner Mutter in die Augen zu schauen, aber sie guckt ohnehin aus dem Fenster.
»Ehe ich Charles kennengelernt habe, hatte ich ein eigenes Leben und einen Beruf, aber das alles habe ich für ihn aufgegeben. Ich habe mich verändert, um seinem Bild einer Ehefrau und Mutter zu entsprechen, und darüber habe ich mich selbst verloren. Früher dachte ich immer, ich könne Beruf und Familie unter einen Hut bringen, aber …« Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sammelt sich, wobei sie uns liebevoll anlächelt. »Wobei ich natürlich auch vier wunderbare Kinder habe, weshalb ich es keine Sekunde bereue. Aber ich möchte nicht, dass ihr Mädchen denselben Fehler macht wie ich. Findet heraus, wer ihr seid, und glaubt an euch, denn ganz gleich, mit wem ihr euer Leben auch teilt, es ist euer Leben, und ihr bekommt nur diese eine Chance. So«, sagt sie, nimmt unsere Gesichter in beide Hände und küsst jede von uns auf die Wange, »und jetzt möchte ich gerne meine beiden entzückenden Enkelkinder sehen.«
Delilah nickt und löst sich von Mums Schulter, und ich stehe auch auf.
»Wisst ihr was«, sage ich, »ich glaube, ich gehe ein bisschen spazieren, wenn niemand was dagegen hat.«
Denn irgendwie habe ich auf einmal das Gefühl, es gibt eine ganze Menge, worüber ich nachdenken muss.
Neununddreißigstes Kapitel
L angsam trotte ich den Berg hinauf. Es ist dunkel, und die Wege sind schon glatt vom gerade einsetzenden glitzernden abendlichen Frost. Der kalte und erstaunlich starke Wind peitscht meine Haare nach hinten und wirbelt sie durcheinander, und ich habe das Gefühl, als könne ich jederzeit wegfliegen. Ich bleibe kurz stehen und schwanke ein wenig, und dann schaue ich den Hügel hinab auf die Reihen perfekter Häuser, die ihn umgeben und ihr warmes safrangelbes Licht verströmen. Doch mich erinnern sie unvermittelt eher an kalte Skulpturen denn an ein gemütliches Zuhause. Es ist fast, als könnte ich plötzlich die vollkommen wirkende Fassade durchschauen und sehen, was sonst dahinter verborgen ist. Und das ist nicht immer so perfekt, wie ich dachte.
Ich vergrabe die Hände tief in den Taschen und gehe weiter bergauf. Der desaströsen Geschichte mit meinem Vater zum Trotz kommt es mir vor, als sei alles klarer denn zuvor, und nun stehe ich da und bin nicht mehr eingehüllt in die dicken Watteschichten der Verwirrung, die mich in den letzten Wochen umgeben haben, sondern habe nur noch die warnenden Worte meiner Mutter im Kopf, die darin herumwirbeln, als triebe der Wind sie vor sich her. Versprecht mir, euch nie für einen Mann zu verbiegen.
Wieder und wieder kreisen meine Gedanken um diese Worte, während ich immer weiter bergan laufe und dabei die letzten drei Wochen meines Lebens, seit ich Joel kennengelernt habe, nocheinmal Revue passieren lasse. Was habe ich eigentlich gemacht, außer mich für ihn völlig zu verstellen? Ich habe mich in eine Frau verwandelt, von der ich glaubte, er würde sie wollen, aber dabei bin ich jemand geworden, den ich selbst nicht mehr mag. Selbstsüchtig, eitel, ungeduldig, ich höre den Menschen, die mir wirklich wichtig sind, nicht mehr zu, weil ich so besessen davon war, mein Leben umzukrempeln. Ach ja, ich habe es nett verpackt und mir eingeredet, anderen helfen zu wollen, indem ich Hardy’s auf den Kopf stelle und den Laden zu einem angenehmeren Arbeitsplatz mache und so letztendlich ihre Jobs rette. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, war das eigentlich kein selbstloser Akt der Nächstenliebe. Schließlich habe ich genau das getan, wovon ich immer geträumt habe: im Verkauf mitmischen, kreativ arbeiten, etwas verändern. Doch darüber habe ich meine Familie vernachlässigt. Und das alles nur einem Mann zuliebe.
Der Wind pfeift
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