Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
schnell eine Runde durch den Laden zu gehen, ehe ich im Warenlager verschwinde, und mir ein paar Notizen zu machen, welche Artikel aufgefüllt und ergänzt werden müssen. Es war mir immer schon ein Leichtes, mir zu merken, wo alles hingehört – das habe ich besser im Kopf als jeder andere, sogar besser als die Verkaufsleiter der jeweiligen Abteilungen. Und außerdem kann ich mir so für einen kurzen Moment einbilden, irgendwie doch im Verkauf zu sein. Um diese Uhrzeit spiele ichimmer gerne das Spiel, in Gedanken das ganze Kaufhaus umzuräumen und neu einzurichten, und ich stelle mir en détail vor, wie jede Abteilung aussehen und wie ich die Ware präsentieren würde und mit welchen Requisiten man die Auslagen am besten zur Geltung bringen könnte. Klingt komisch, aber ich weiß, dass ich das richtig gut kann.
Heute entscheide ich mich, zuerst in die Herrenoberbekleidung zu gehen, die hauptsächlich aus einer undurchdringlichen Mauer aus Jeans zu bestehen scheint. Reihe um Reihe hängen sie da, die Jeans, in Blau, Dunkelblau, verwaschenem Blau, Marineblau, Indigo, Schwarz, verwaschenem Schwarz, Dunkelgrau. Und in der Mitte der Abteilung thront die Sockenauslage. Daneben Gürtel. Und dann die aufgereihten Anzüge. Danach kommen die endlosen Kleiderstangen mit grünen, schwarzen und braunen Barbourjacken, Regenmänteln und anderen eintönigen Allwetterklamotten. Die ödeste Herrenabteilung, die ich je gesehen habe.
Und Guy ist, seit sein Freund ihn verlassen hat, noch immer der mitleiderregendste Verkaufsleiter aller Zeiten. Dabei hatten die beiden sich gerade erst eine gemeinsame Wohnung gekauft. Doch nun steuert Guy unaufhaltsam auf einen runden Geburtstag zu, der in Schwulenjahren gerechnet quasi den gesellschaftlichen Tod bedeutet. Seit ich gehört habe, dass Rupert vorhat, ihn zu entlassen, geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. Gerade Guy habe ich sehr ins Herz geschlossen, weil ich ganz genau nachfühlen kann, was er gerade durchmacht. Er war völlig vernarrt in Paul, und bei der Trennung hat Paul zu Guy gesagt, er »empfinde nichts mehr« für ihn. Und das nach drei Jahren Beziehung. Ich meine, was zum Teufel geht da bloß in den Männern vor? Wie kommt es, dass sie dir nicht nur das Herz brechen, sondern auch noch auf deinem Selbstbewusstsein herumtrampeln und deinen Lebensmut vollkommen vernichten müssen? Seit dieser Geschichte kann man förmlich mit ansehen, wie Guy sichin sein Schneckenhaus zurückzieht und immer weiter verschwindet. Er kleidet sich unauffälliger, er redet leiser, sein Verhalten wirkt wie eine einzige Entschuldigung dafür, dass er überhaupt existiert. Und das bei dem hellsten, witzigsten, extrovertiertesten Menschen, den ich kenne.
Freund hin oder her, es wundert einen nicht, dass Guy immer so trübsinnig aus der Wäsche guckt, wo er doch den ganzen Tag diese tödlich langweilige, endlose Jeanslandschaft vor der Nase hat.
Da fehlt jede Farbe, jedes Leben, jede Energie. Manchmal frage ich, wo bloß der gute alte Glamour geblieben ist. Und dann wandert mein Blick zu meiner eigenen öden Garderobe, der schwarzen Hose und der weißen Bluse mit der offenen Jacke darüber, und plötzlich muss ich fast lachen. Da sollte ich mich wohl mal an die eigene Nase fassen.
Von der anderen Seite des dunklen Verkaufsraums fällt mir das lustige Funkeln der altmodischen Weihnachtsbeleuchtung an den Christbäumen in Lilys Teesalon ins Auge, und es zieht mich plötzlich magisch dorthin. Fast erwarte ich, Humphrey Bogart in einer Ecke sitzen zu sehen, die Beine ausgestreckt, in seinem unverwechselbaren Trilby und dem Trenchcoat, wie er gelangweilt an einer Zigarette zieht. Warum ziehen sich die Männer heutzutage eigentlich nicht mehr so an? Ich würde drauf wetten, die meisten finden diesen kultivierten Look eines echten Gentleman genauso anziehend wie ich den mondänen Schick für die Frau von Welt.
Plötzlich höre ich eine Männerstimme, und sofort flitze ich in den Teesalon. Wir sind uns zwar erst einmal begegnet, aber diesen Akzent würde ich überall wiedererkennen. Joel hier so unvermutet über den Weg zu laufen bringt mich völlig aus dem Konzept, aber irgendwie bin ich auch ganz kribbelig vor Aufregung. Was zum Teufel macht der denn um diese unchristliche Zeit hierim Geschäft? Es ist ja gerade mal sieben Uhr. Ich weiß zwar, dass er und Rupert sich kennen, aber einen Hardy habe ich um diese Uhrzeit hier noch nie gesehen. Es muss wirklich schlecht stehen um unser altes
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