Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
Also habe ich mich flugs wie ein Actionheld aus meinem Straßenklamottenensemble, bestehend aus schmuddeliger Hose und Bluse, geschält und bin in meine Sachen aus dem Schrank geschlüpft. Anschließend habe ich mir rasch die Haare hochgesteckt, mir in die Wangen gekniffen, damit sie ein wenig rosiger aussehen, und die Wimpern mit den Fingern umgebogen, damit sie nicht so schnittlauchgerade sind, und mir zu guter Letzt noch schnell ein bisschen Lippenbalsam, den ich ganz unten in meinem Rucksack entdeckt habe, auf den Mund geschmiert. Nur eine Strumpfhose und hohe Schuhe hatte ich nicht eingepackt. Und als Joel dann immer näher kam, bin ich in Panik geraten und bin zu dem Schluss gekommen, dass meine ausgelatschten alten schwarzen Schuhe für eine Einkaufsberaterin einfach unmöglich sind, also habe ich Schuhe und Strümpfe abgestreift und hinter Lilys Thekeversteckt, habe Gott auf Knien gedankt, dass ich mir in weiser Voraussicht beim Duschen die Beine rasiert habe und Delilah mir die Zehennägel preiselbeerrot lackiert hat, nachdem ich in meinem Larry-Aldrich-Kleid herumstolziert bin. Und dann, als Joel mir gerade den Rücken zudrehte, bin ich aus dem dunklen Teesalon gehuscht und habe mich hinter einem Kleiderständer versteckt. Und mir eingeredet, Joel würden meine nackten Füße ohnehin nicht auffallen, da Männerblicke bei Frauen sowieso immer auf Brusthöhe hängen bleiben. Das weiß doch jeder.
»Ähm, warum laufen Sie denn barfuß herum?«, fragt er mit einem Blick auf meine nackten Füße.
Ach. Verdammt.
»Na ja«, entgegne ich gedehnt und überlege krampfhaft, was für eine Ausrede man mir bei minus zwei Grad Außentemperatur dafür abnehmen würde. Wobei es hier drinnen nur unwesentlich wärmer ist. Hardy’s uralte Heizungsanlage ist zickig wie eine launische Diva. »Wissen Sie, Joel, ich habe einfach festgestellt, dass ich … so besser arbeiten kann«, sage ich und tänzele dabei auf den Zehenspitzen herum, um zu beweisen, wie angenehm diese barfüßige Freiheit sich doch anfühlt. »Ich liebe das Gefühl, ganz ungehindert durch den Laden laufen zu können, wissen Sie, wenn ich die Garderobe für meine Kunden zusammenstelle. Ich habe dann ein besseres Gefühl für Bequemlichkeit, und, ähm, Chic …« Ich habe keine Ahnung, was ich da plappere. »Ähm, aber egal, kann ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein? Schließlich bin ich ja Einkaufsberaterin, wie Sie wissen«, füge ich großspurig hinzu. Nur für den Fall, dass ihm erste Zweifel an mir kommen. Wie zum Beweis halte ich ihm den Klamottenstapel auf meinem Arm unter die Nase. »Die sind für einen Klienten.« Wobei, sagt man tatsächlich »Klient«? Oder benutzen das nur Prostituierte? Mist, es heißt Kunde. Natürlich sagt man Kunde. Ach, na ja, vielleicht merkt er es gar nicht, dass ich mich verplappert habe.
»Einen Klienten«, meint Joel, wobei seine Mundwinkel verdächtig zucken. »Nennt man die hier bei Ihnen so? Und wie würde eine erfahrene Einkaufsberaterin den durchschnittlichen Hardy’s- … Klienten denn so einkleiden?« Er schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an.
Ich werfe einen Blick auf die Klamotten und durchforste mein Hirn nach einer halbwegs aussagekräftigen Antwort. »Nun ja, es handelt sich dabei natürlich um hochkarätige und sehr wählerische Menschen. Sie legen Wert auf Stil …« Ich ziehe ein grottenhässliches blassrosa kariertes langärmeliges Hemd mit weißem Kragen aus dem Stapel. Es ist einfach abscheulich. Ich schlucke schwer. »Aber sie scheuen sich auch nicht, die Grenzen des guten Geschmacks auszutesten. Sie mögen den lässigen Schick. Wenn sie beispielsweise zum Polo gehen oder so.« Ich halte eine Chino in einem blassen Zitronengelb hoch, das aussieht wie der Zuckerguss auf einer Kindergeburtstagstorte, und muss einsehen, dass auch die abscheulich ist. » Aber« , füge ich rasch hinzu, »sie wollen sich auch ein wenig von der breiten Masse abheben.«
Mit der Hand fasse ich in den Kleiderhaufen und ziehe ein Paar knallrosa Hosenträger heraus. Joel prustet vor Lachen, und ich setze eine gekränkte Miene auf. »Lachen Sie etwa über die Garderobe meines Klienten?«, frage ich von oben herab.
Worauf er den Kopf schüttelt und mir sanft die Hand auf den Arm legt, und sofort schießt ein Adrenalinschub durch meinen ganzen Körper. »Nein, ich lache über Sie. Sie sind sehr witzig. Ich liebe den britischen Humor.«
»Aber als Amerikaner dürften Sie doch eigentlich gar keinen Sinn für
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