Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
über den Schalter lehnt und meine Hand mit seiner altersfleckenübersäten drückt.
»Nicht schlimm, Liebes. Wein dich ruhig aus, wenn dir danach ist.« Er lächelt. »Weißt du, was mir eben erst aufgegangen ist? Du bist die einzige von all deinen Kollegen, die mich mit meinem Namen anspricht. Alle anderen sagen bloß immer »Hey« oder »Hallo« oder »Entschuldigung, Mister!« Und manchmal …« Er schüttelt den Kopf. »… übersehen sie mich einfach. Es kommt mir fast vor, als sei ich unsichtbar«, erklärt er entrüstet. Er zieht eine Weihnachtsmannmütze und einen weißen Rauschebart unter dem Schalter hervor. »Ich habe schon überlegt, mich für den Rest des Monats zu kostümieren. Mal sehen, ob es irgendwem auffällt.«
»Vielleicht mache ich das auch«, meine ich lachend, als Felix den Bart anzieht. »Alle nennen mich immer Sarah – so hieß das letzte Mädel, das im Warenlager gearbeitet hat, oder – noch schlimmer – einfach nur das Warenlagermädel. Fast als sähen sie den Menschen dahinter gar nicht.« Mir wird gleich viel wohler ums Herz, weil ich meinen Frust mit jemandem teilen kann, der mich versteht, und meine Laune bessert sich zusehends. »Neulich habe ich mich sogar zuhause am Telefon mit ›Hallo, hier ist Sarah‹ gemeldet.«
Felix schüttelt sich vor Lachen, und mir geht es gleich viel besser. Es ist wirklich ziemlich absurd. Dauernd nehme ich mir vor, meinen Kollegen zu sagen, wie ich wirklich heiße, aber, na ja, mittlerweile sind zwei Jahre vergangen, und irgendwie weiß ich nicht, warum ich mir jetzt noch die Mühe machen sollte. Sarah ist schließlich kein schlechter Name, und außerdem waren viele berühmte Menschen unter einem Pseudonym bekannt. Aus Norma Jean Mortenson wurde beispielsweise Marilyn Monroe, und Judy Garland hieß in Wirklichkeit Frances Ethel Gumm. Ich befinde mich also in bester Gesellschaft.
Und dann muss ich an meine wunderbare Begegnung mit Joel denken, und mir geht auf, dass ich wirklich keinen Grund zur Klage habe. Fast sieht es aus, als sei es meine neue Masche, mich für jemand anderen auszugeben. Zuerst Sarah und nun Carly. Da muss ich mich doch glatt fragen, ob ich womöglich Muffensausen habe, einfach nur ich selbst zu sein. Vielleicht sollte ich Joel die Verwechslung beichten, wenn er mich anruft. Wobei er sicher sowieso nicht anruft, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Felix lächelt mich fragend an. »Und, wer ist er?«
»Wer?«, entgegne ich mit gespielter Unschuld und frage mich, wie die älteren Herrschaften es wohl schaffen, immer mitten ins Schwarze zu treffen. Felix und Lily scheinen in mir zu lesen wie in einem offenen Buch.
»Du strahlst wie eine Frau, die gerade jemanden kennengelernt hat.«
Ich werde rot und muss an die rosa Seidenbluse mit der großen Schleife und den engen schwarzen Bleistiftrock in meinem Rucksack denken, und da kann ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. Ich habe es einfach nicht über mich gebracht, die Sachen heute Morgen anzuziehen und dann den ganzen Tag damit im Warenlager zu schuften, aber man weiß ja nie, ob man sie nicht vielleicht unvermutet braucht. Oder genauer gesagt, ob Joel nicht vielleicht unverhofft in den Laden schneit.
»Also, schieß los, wer ist es?«
»Ach, niemand«, antworte ich verlegen und trinke einen Schluck Kaffee. Dann halte ich inne und schaue hoch zu Felix, und auf einmal kann ich nicht anders, ich muss ihm einfach die große Neuigkeit erzählen. »Okay, also, gestern ist jemand in den Laden gekommen …«
»Ah, da spielt das gute alte Hardy’s wohl mal wieder Amor«, mein Felix und lacht heiser. »Das konnte dieser Laden immer schon besonders gut.«
»Du klingst genau wie meine Mum«, erwidere ich lachend. »Die hat auch hier gearbeitet und hat meinen Dad hier kennengelernt, und sie hat mir immer prophezeit, eines Tages würde ich mich bestimmt auch hier im Laden verlieben. Aber ich wollte ihr das nicht glauben.«
»Vielleicht solltest du das aber«, erwidert Felix. »Moment mal, sagtest du gerade, sie hat früher hier gearbeitet? Kenne ich sie vielleicht?«
Und da kommt es mir urplötzlich in den Sinn, dass er sie tatsächlich kennen könnte. Felix war schon hier, als Walter junior noch das Kaufhaus führte, also müsste er zur gleichen Zeit hier gearbeitet haben wie Mum. Unfassbar, dass ich da nicht schon viel früher draufgekommen bin.
»Kann sein. Sie heißt Grace Taylor, aber als sie hier gearbeitet hat, trug sie noch ihren Mädchennamen, Grace
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