Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
wollen. Er hält große Stücke auf Sie.«
Ich nicke und mir wird klar, wie sehr Rupert Carly wohl schätzen muss.
»Sagen Sie mal, Joel«, setze ich an und versuche, mich ganz nonchalant zu geben, »weshalb waren Sie sich neulich so sicher, dass ich Carly bin, als wir uns im Laden begegnet sind? Ich meine, wir haben uns vorher nie gesehen, ich hätte doch auch jemand ganz anderes sein können.«
Was der Wahrheit ziemlich nahekommt, denke ich, ohne es laut auszusprechen.
Joel beugt sich zu mir vor, er schaut mir tief in die Augen, und ich widerstehe dem Drang zurückzuweichen. Aber ich will unbedingt die Antwort auf diese Frage wissen, also zwinge ich mich, seinem Blick standzuhalten. »Sie konnten niemand anderes sein«, flüstert er, und dann streckt er die Hand über den Tisch aus und legt sie auf meine. »Sie haben … so eine Aura. Ich kann es nichterklären. Vielleicht lag es an Ihrem selbstbewussten Auftreten, vielleicht an Ihrem Stil, aber was immer es auch gewesen sein mag, ich wusste einfach, dass ich Sie unbedingt kennenlernen muss. Die Erkenntnis hat mich getroffen wie ein Schlag.«
»Gleich, als Sie mich das erste Mal gesehen haben?«, hake ich nach, weil ich herausfinden will, ob er damit die echte Carly meint oder mich.
»Gleich, als ich Sie das erste Mal gesehen habe«, entgegnet er leise mit seinem gedehnten Akzent, wohl in dem Glauben, mir ein großes Kompliment zu machen. Aber damit bestätigt er bloß meinen Verdacht: Dass er sich in Carly verliebt hat – und nicht in mich. Das Ganze ist eine klassische Verwechslung.
»So, und jetzt müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten«, sagt er und wird plötzlich ganz ernst. »Erklären Sie mir, warum Sie nicht meiner Meinung sind, dass für Kaufhäuser wie Hardy’s heutzutage kein Platz mehr ist.«
Ich bin perplex. Als er das vorhin behauptete, wollte ich eine leidenschaftliche Verteidigungsrede vorbringen, dass ich ihm da widersprechen müsse und es sehr wohl einen Platz gibt für Häuser wie Hardy’s oder Parker’s. Die Menschen wollen auch heutzutage noch immer in freundlichen, gut informierten, familiären Geschäften einkaufen, wo die Verkäufer sie mit Namen kennen und persönliche Einkaufsberatung keine eigene Abteilung, sondern im ganzen Laden selbstverständlich ist. Nur hat man uns eingeimpft, wir sollten lieber wie brave, folgsame Shopping-Schafe in riesengroßen Supermarktketten oder versnobbten Nobelboutiquen oder Edel-Einkaufszentren shoppen, wo man sich vor todschicken Klamotten und hochnäsigen Angestellten kaum retten kann, und kaufen, was Zeitschriften, Models, Promis und Werbekampagnen uns verführerisch vor die Nase halten, statt das zu kaufen, was uns wirklich steht und gefällt.
Aber jetzt, wo ich weiß, dass er eigentlich Carly meint, fühleich mich gezwungen, genau wie sie zu sein. Also, was zum Geier würde sie wohl sagen?
Ich versuche ein bisschen Zeit zu schinden, indem ich einen besonders großen Schluck Champagner trinke. Dabei leere ich allerdings versehentlich das halbe Glas mit einem Schluck, die Bläschen steigen mir in die Nase, und ich huste und spucke. Joel springt auf und klopft mir auf den Rücken.
»Entschuldigen Sie«, japse ich schließlich. »Ich habe mich verschluckt.«
»Das merkt man«, entgegnet er, während ich hastig den restlichen Champagner austrinke.
Als ich das Glas dann endlich geleert habe, ist mir auch eine Antwort eingefallen.
Ich schaue ihn an, aber er durchbohrt mich förmlich mit Blicken, und mein Selbstbewusstsein fällt in sich zusammen.
Sei Carly , sage ich mir. Denk Mode, denk Chic, denk wie sie.
Ich räuspere mich. »Na ja, ich finde das gar nicht so traurig, weil der Einzelhandel und insbesondere kleine Kaufhäuser nach vorne schauen müssen. Die Kunden sind ans Onlineshopping gewöhnt, die wollen nicht von Verkäufern betüddelt werden und durch vollgestopfte Tante-Emma-Läden laufen. Die wollen alles minimalistisch, minimalistisch, MINIMALISTISCH.« Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, haue ich mit der Faust auf den Tisch, und Joel zuckt ein wenig zusammen. »Klare Linien und eine kleine Produktauswahl, präsentiert vor einem schnörkellosen, weißen Hintergrund.« Ich hole kurz Luft. »Mode muss wie Kunst sein«, hauche ich, jetzt ganz in meiner Rolle als Carly aufgehend, während ich insgeheim genau das Gegenteil denke. Auf einmal muss ich an den Schrank denken, mit all den Kleidern, die schon viel zu lange ungeliebt und unbeachtet darin hängen.
»Ich meine,
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