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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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nicht sicher, ob ich wieder hinausschleichen konnte.
    Wir mussten nicht lange warten, bis Elsa kam, und auch sie schien ehrlich erfreut zu sein, mich wiederzusehen.
    »Wie wäre es mit einem Bier zum Ausklang?« Hermann lächelte in die Runde.
    »Ich bin sehr müde«, sagte Elsa unentschlossen.
    »Ach, komm doch«, sagte Hermann, »die paar Abende, die wir noch haben. Nur ein Bier. Wir bummeln zum Alex.«
    Sie trat von einem Fuß auf den anderen und ließ sich schließlich, wenn auch mit einem Seufzen, überreden. Hermann zog sie fest an sich.
    »Nur für den Fall: Haben Sie Ihre Papiere dabei?«, fragte er mich.
    »Ich habe sie immer bei mir, sogar wenn ich schlafe«, versicherte ich.
    So schlenderten wir in Richtung Alexanderplatz. In Gesellschaft der beiden kam mir die Stadt vertrauter vor. Obwohl ich nur neben ihnen herging, starrten mich die Leute nicht mehr unverhohlen an wie zuvor. Sie schienen uns drei als eine Einheit wahrzunehmen, etwas seltsam zwar, doch für einen genaueren Blick blieb im Vorübergehen ohnehin keine Zeit.
    »Haben Sie denn schon einmal ein Bier getrunken, ich meine, ein Berliner Bier?«, fragte Hermann.
    Ich verneinte und er gab einen Laut des Erstaunens von sich.
    »Wie lange sind Sie schon hier, wenn ich fragen darf?«
    Ich sagte ihm, dass es schon etwas über ein Jahr war. Als ich die Passanten in Unter den Linden sah, die wenigen Pärchen und auffallend vielen älteren Leute und in den Cafés die ernst blickenden, eiligen Kellner mit ihren fleckigen Schürzen, wunderte ich mich selbst über mein Einsiedlerleben in der Nähe des Großmuftis und über die noch immer spürbare Unsicherheit in der fremden Stadt.
    »Lass ihn doch«, sagte Elsa. »Muss ja nicht gleich jeder Bier trinken gehen, wo immer er ist. Vielleicht gibt es für ihn Wichtigeres.«
    »Wichtigeres als Biertrinken?«
    »Jawohl, man hat schon davon gehört.«
    Behäbig lärmten Doppelstockbusse vorüber, geschwungene Werbeschriftzüge auf den Breitseiten und Reihen von verdunkelten Fenstern darüber und darunter. Kein Schimmer drang heraus. Auch die Scheinwerfer der Fahrräder hatte man mit Schlitzblenden versehen, um gefährliches Streulicht zu vermeiden. Stadtschloss und Dom waren nichts als asphaltgraue Erhebungen in der Dunkelheit.
    »Vor unserem Büro«, sagte Hermann auf der Schlossbrücke, »haben sie einen Löschteich angelegt. Vor einer Woche war das. Und gestern ist ein kleines Mädchen beinahe darin ertrunken. Wir haben es vom Fenster aus sehen können, aber wären nicht schnell genug dort gewesen, um sie zu retten. Die Mutter hat es dann gerade noch rechtzeitig bemerkt. So ist das mit der Sicherheit, sie kann einen auch umbringen. Denk an den S-Bahn-Mörder.«
    »Hör auf damit«, sagte Elsa leise, »du blamierst uns vor unserem Gast.«
    »Oho, das, meine Angebetete, übernehmen schon andere.«
    Wieder einmal blickte ich zum Himmel auf, der schwer wie ein dunkles Fell auf lichtlos aufragenden Häusern lag, deren Eingänge mit Hinweispfeilen und Warnschildern versehen waren. Von diesem Himmel drohte Gefahr, und er war überall.
    Am Alexanderplatz bewunderte ich die Straßenbahnen, zu groß geratene Spielzeuge, die, wie von Geisterhand bewegt, über die Straßen rumpelten. Hielten sie, konnte ich die seltsamen Schaffner sehen: die meisten waren Frauen in Uniformen.
    »Gehen wir ins ›Nasse Handtuch‹. Ich war schon lange nicht mehr da, ist gemütlich.«
    Hermann übernahm die Führung und ohne ein weiteres Wort folgten wir ihm in die schummerige Kneipe, die mich, eng und warm, wie sie war, an eine Holzkiste erinnerte. Es mochte etwas nach 21 Uhr gewesen sein, relativ spät für die verdunkelte Stadt, und seltsame Gestalten hatten sich hier versammelt: ein paar vierschrötige Männer in staubfarbenen Mänteln hielten ihre Aktentaschen umklammert, ein Bier und ein winziges Teeglas voll Schnaps vor sich. Zwei Frauen spielten Karten, sie hatten magere Arme, lachten zuweilen geräuschlos auf und zeigten dabei ihre schlechten Zähne. Sie alle wirkten wie die Letzten ihrer Art, als hätten sie sich verirrt oder hierhergeflüchtet.
    Als wir am Tisch saßen, erfuhr ich, dass Hermann seinen Bereitstellungsschein schon in der Tasche hatte. Es blieben ihm nur noch wenige Wochen, dann würde er gen Osten ziehen, und er war alles andere als begeistert davon.
    Wieder lag die Angst vor dem Kommenden in der Luft. Die Leute in der Kneipe sprachen leise miteinander, beinahe hätte man für Innigkeit halten können, was in

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