Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
Wahrheit Vorsicht war. Als könnte das Unheil jederzeit auf sie herabstürzen, als wäre jedes laute Wort eine Einladung an all die finsteren Mächte, die das Reich umdrohten, senkte man seine Stimme, steckte die Köpfe zusammen und verbot das Licht.
    Hermann flüsterte, als er sagte:
    »Es sieht nicht gut aus. Ich habe es geahnt, von Anfang an habe ich es gewusst.«
    »Was sagst du da?«, fragte Elsa in warnendem Tonfall und rieb hörbar ihre Schuhe aneinander.
    Hermann bückte sich und zog ihr mit geschickten Handgriffen die Schuhe von den Füßen. »Sonst hältst du es hier nicht lange aus«, sagte er.
    Dankbar lehnte sie den Kopf an seine Schulter.
    »Warum sagst du solche schlimmen Dinge?«
    »Weil es wahr ist.«
    »Aber unser Gast will das nicht hören.«
    »Was will er dann hören?«, sagte Hermann.
    »Ich weiß nicht, wo ich bin«, sagte ich abwesend.
    Gleich nachdem ich mich auf dem Holzstuhl niedergelassen hatte, spürte ich den Fußmarsch und eine Müdigkeit, als hätte ich den ganzen Tag schwer gearbeitet. Doch ich ahnte, dass nichts als die allgemeine Stimmung mich niederdrückte. Ich hätte das Hotel nicht verlassen dürfen, dachte ich, und ich werde es auch nie wieder tun, werde künftig auf meinem Platz bleiben. Eigentlich wollte ich nicht hören, was Hermann zu sagen hatte; ebenso wie diese Stadt waren seine Worte bedrohlich. Ich wünschte mich nach Zehlendorf zurück, wo ich, zumindest am Tage, die Furcht nicht wahrnahm.
    Es gab noch mindestens zwei andere Männer, jünger als Hermann, die hier vielleicht ihren Abschied feierten. Sie alle hatten ihre Frauen dabei, tranken schnell und blickten sich verstohlen um, bevor sie sprachen. Und alle verstummten, als ein älterer Herr hereinkam und sich an den Tresen stellte. Argwöhnisch blickte er in die Runde, musterte die Gäste und wandte sich dann abrupt seinem Schnapsglas zu, als ertrüge er den Anblick der anderen nicht länger. Er war wohl, erfuhr ich, ein Luftschutzwart. Diese Leute hatten die Aufgabe, die Einhaltung der Luftschutzmaßnahmen zu überwachen. Jeder fürchtete sie, erklärte Hermann leise, denn es waren häufig unzufriedene, im Leben zu kurz gekommene Menschen, die in der Kontrolle der anderen endlich eine Aufgabe gefunden hatten.
    »Solche sind mir zuwider«, flüsterte Hermann und Elsa krallte sich in seinen Jackettärmel.
    Sie war ebenfalls für den Luftschutz ausgebildet. Regelmäßig musste sie in Bereitschaft eine Nacht im Hotel verbringen. Selbst auf den Bildpostkarten, die in der Lobby zu kaufen waren, gab es einen aufgedruckten Hinweis, Telefongespräche nach Luftangriffen zu vermeiden. All die tiefen, kalten Räume der Technik bargen unsichtbare Gefahren.
    »Wir zahlen sogar eine Abgabe dafür«, sagte Hermann und lachte bitter. »Sie ahnen gar nicht, wie viele Warte es in diesem Land gibt. Und vom Wart ist es nie weit zum Wärter.«
    Das Bier bekam mir nicht, es machte mich noch träger, als ich ohnehin schon war. Meine Augen brannten und kurz erinnerte ich mich an die Geschichtenerzähler in den Teehäusern von Bagdad, an Rostams endlos aufeinanderfolgende Abenteuer, von denen sie berichteten, als würden sie ein Lied mit vielen, vielen Strophen vortragen. Der unbesiegbare Held stellte die einzige Verbindung zwischen allen Geschichten dar, zwischen Ländern und Zeiten. Ich wollte mich wieder fühlen wie Rostam, doch war ernüchtert und müde und all mein Fernweh war verschwunden.
    Hermann neigte seinen Kopf zu mir. Seine blauen Augen, die sonst leuchteten, als sollte vor ihnen tatsächlich, wie ich es gelesen hatte, aller Rassenschlamm zergehen, schienen erloschen.
    »Wenn Sie klug sind, dann verlassen Sie dieses Land«, sagte er eindringlich. »Dies hier ist kein guter Ort für Touristen, glauben Sie mir.«
    Elsas Blick war ebenso ernst wie der ihres Mannes, diesmal bremste sie ihn nicht. Hermann hob den Kopf und schaute an mir vorbei.
    »Vielleicht«, sagte er, »wenn das deutsche Organisationstalent und der deutsche Erfindungsgeist Wunder tun, wenn der Kriegsgott uns gnädig ist und – ja, wenn unsere Feinde wirklich so dumm und primitiv sind, wie man uns sagt, dann wird sich alles noch wenden. Vielleicht. Dann können Sie in ein paar Jahren wiederkommen und mit uns feiern, jetzt aber … «
    Elsa rüttelte sachte an seinem Arm, der Luftschutzwart hatte ausgetrunken, schickte sich an, die Kneipe zu verlassen. Vorher aber ging er noch provozierend nah an den Tischen der Gäste vorbei, die Enden seines schweren Mantels

Weitere Kostenlose Bücher