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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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auf einem der kleinen Holzboote, die nahe dem Steg befestigt waren. Bakr, Haddad und Fadil standen am Ufer und blickten uns skeptisch nach, während ich in die stille Mitte des Sees hinausruderte. Es war ein Triumph für mich, zu sehen, wie selbst die Sekretäre hinter uns zurückblieben, und zu wissen, dass Fadil sich fragen musste, warum ausgerechnet mir das Vorrecht der Zweisamkeit mit unserem Herrn gewährt wurde.
    Vorsichtig stieß ich die Ruder ins Wasser, atmete leise aus, wenn ich die Arme anzog. Ich war nicht sicher, ob ich es richtig machte, doch wir entfernten uns zusehends vom Ufer. Das Wichtigste war, den Großmufti in seinen Gedanken nicht zu stören und diesen Ausflug für ihn so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich bekam ein Zeichen und verlangsamte das Rudern, schließlich stellte ich es ganz ein.
    Für eine Weile saß der Großmufti stumm da und blickte versonnen um sich. Man hätte meinen können, er sammle seine Gedanken für das bevorstehende Gespräch. Doch ein Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen, er wandte den Kopf zur Sonne und kniff die Augen zusammen, genoss den schönen Spätnachmittag. Die Vögel sangen um diese Tageszeit verhaltener als am Morgen, wenn sie freudig das Licht begrüßten. Auf der glatten Oberfläche des Sees beobachtete ich plötzlich sich ausbreitende Kreise und winzige aufsteigende Luftbläschen. Zwei ältere Frauen waren auf der Brücke stehen geblieben und blickten zu uns herüber. Normalerweise hätte ich ihnen zugewinkt, doch jetzt wagte ich das nicht. Der Großmufti rückte seinen Turban zurecht und blickte mir direkt in die Augen.
    »Ich will dir sagen, warum ich dich damals mit den anderen in das Schutzlager geschickt habe.«
    Zwar hatte es mich verwundert, zusammen mit Rasul und Bakr ausgewählt worden zu sein, doch nach dem Grund hatte ich mich nie gefragt.
    »Ich tat es, weil ich auch dich nicht schonen wollte«, sagte mein Herr. »Ich glaube, du bist in der Lage zu verstehen, was hier vorgeht. Du weißt, dass wir uns in einem Krieg befinden und dass im Krieg viele Menschen sterben. Das ist dir doch klar?«
    Ich bejahte und blickte wieder zu den Frauen auf der Brücke. Nur ungern erinnerte ich mich an den Morgen in Oranienburg. Das Bild eines einzelnen Häftlings kam mir in den Sinn. Die beiden Sekretäre besichtigten gerade eine der speziellen Stationen, als ich diesen Mann dabei beobachtete, wie er den von der Mannschaft »Schießstand« genannten befestigten Graben entlangging und sehr vorsichtig den Sandboden mit einem offensichtlich selbstgebastelten Besen glättete. Als mein Kopf über dem Grabenrand auftauchte, blickte er reflexartig auf, und für den Bruchteil einer Sekunde begegnete mein Blick seinen leblosen Augen. Sofort schaute der Häftling wieder zu Boden und wandte mir den Rücken zu. Langsam, Schritt für Schritt bewegte er sich von mir fort auf das düster über ihm stehende Stationsgebäude zu und versuchte diese Flucht im Schneckentempo absichtslos aussehen zu lassen.
    Ich betrachtete den gebeugten Rücken mit den spitzen Schulterblättern, sah, wie sie die Streifen auf der abgenutzten Häftlingsjacke auseinanderzogen – da begriff ich, wozu dieses Lager diente und hob den Kopf. In der Ferne, hinter dem elektrischen Zaun, konnte ich eine alte Frau erkennen, die ihre Einkaufsrationen in zwei schmalen Beuteln nach Hause trug. Sie blickte nicht herüber und verschwand schließlich zwischen den Bäumen. Als ich wieder in den Graben schaute, war der Häftling verschwunden. Er hatte darauf geachtet, auf dem weichen Boden keine Abdrücke zu hinterlassen. Stattdessen sah ich nur noch die müde hingewedelte Spur seines Besens.
    »Schau mich an«, forderte der Großmufti. »Was ich mir über das Lagersystem der Deutschen habe berichten lassen, verändert alles.« Er sprach leise und eindringlich, ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. »Nun kommt es darauf an, sich richtig zu verhalten. Die großen Mächte der Welt schlagen auf uns ein, es ist ein sehr harter Kampf und es geht um alles. Die Juden haben sich wie immer mit den Stärksten verbündet und viele glauben inzwischen, sie werden damit Erfolg haben.« Er schaute über den See und grübelte kurz. »Die einzige Macht, die sie noch aufhalten kann, sind die Deutschen. Aber sie kämpfen an zwei Fronten und verlieren dabei viele Soldaten. Nicht die Flugzeuge sind das Problem«, er wies mit dem Zeigefinger erst zum Himmel, dann vor sich, »der Krieg wird auf dem Boden entschieden.« Wieder machte er

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