Ein weißes Land
wünschen für den bevorstehenden Kampf.
Es war ein glücklicher Moment, als er auf dem Exerzierplatz am angetretenen Regiment entlangschritt. An die Männer wurde ein von ihm verfasstes Büchlein verteilt, in dem noch einmal alle grundlegenden Gedanken über den Sinn unseres Einsatzes zusammengefasst waren.
Aufmerksam betrachtete der Großmufti jeden Einzelnen der Strammstehenden. Schließlich erkannte er Fadil und mich. Mein einstiger Herr blieb vor mir stehen, schmunzelte, machte einen Schritt auf mich zu und kniff meine Wange. Ich lief rot an vor Scham, doch zugleich wärmte mich diese vertrauliche Geste und ich konnte sie lange nicht vergessen.
»Es ist etwas aus dir geworden«, flüsterte der Großmufti und betrachtete meine Uniform, den eigens für unsere Einheit entworfenen Fez, den Kragenspiegel und die Ärmelstreifen. »Bewähre dich«, fügte er an, »der Sieg ist nah.«
Es klang wie ein Abschied und doch auch verheißungsvoll. Als er weitergegangen war, blickte ich hinaus in die grüne, flache Landschaft jenseits des Lagerzauns, sog die warme Luft mit dem Geruch des nahen Flusses ein und bewunderte wieder den Sommerhimmel hier. Immer überzog ihn ein transparenter Schleier aus Insekten, Blüten, Staub und Blattresten und, wie ich mir erst viel später klarmachte, wohl auch Asche. Damals, für diesen kurzen Moment, war ich endlich einmal ruhig und glaubte mich mit meinem Schicksal versöhnt.
Der Großmufti wusste nicht, dass unsere Uniformen aufgrund der allgemeinen Materialknappheit aus Resten zusammengestellt waren. Die Hosen stammten aus Wehrmachtsbeständen, die Stiefel und Waffen aus Beutegut. Dennoch ließ er mich zurück mit einem ungekannten Gefühl des Stolzes. Trotz aller Erniedrigung und Schinderei in diesem Lager und trotz meiner viel zu großen Stiefel, deren Spitzen lächerlich in die Höhe standen, war ich nun endlich Teil einer Armee, war nicht mehr allein, kein Mitglied einer Räuberbande oder Dienstbote von Offizieren mehr. Ich trug nun ein Gewehr, wenn es auch nur eine Beutewaffe war, und sollte, wie der Oberscharführer es ausdrückte, »ausziehen, das Fürchten zu lehren«.
Noch aber war es nicht so weit. Ich erinnere mich nicht, ob es einer der regulären Märsche war oder eine Bestrafung, jedenfalls trugen wir Gasmasken und keuchten vor Anstrengung in der Sommerhitze. Es ging einen ansteigenden Schotterpfad hinauf, ab und an wurde »Häschen hüpf!« befohlen, in langer Reihe stolperten wir vorwärts und bekamen, obwohl die Filtereinsätze aus den Masken entfernt worden waren, zu wenig Luft. Der Feststellriemen scheuerte auf der Kopfhaut, die Sichtgläser beschlugen. Oben angelangt, ließ uns der Rottenführer verschnaufen, die Gasmasken aber durften wir nicht abnehmen. Eine Horde von Ungeheuern mit schwarzen Gesichtern stützte die Hände auf die Knie und röchelte beim Atmen.
Als meine Sichtgläser allmählich wieder klarer wurden, sah ich inmitten von Rapsfeldern einen Reiter auf einem Schimmel. Am Sattel erkannte ich ihn als Mitglied der SS -Kavallerie. Gelbe Pollen hatten sich von außen auf die Maske gelegt; das Bild des galoppierenden Reiters schien goldumrahmt. Er trug etwas wie ein Nachthemd, das im Wind flatterte, und war barfuß. Unvermittelt brachte er das Pferd zum Stehen und hob ein Schwert, senkte es wieder und streifte umständlich das Hemd ab. Fast nackt, mit langgestrecktem, hellhäutigem Oberkörper riss er an den Zügeln, bis sich das weiße Pferd auf die Hinterläufe erhob. Das Schwert fuhr in die Höhe und senkte sich langsam ostwärts; auf dem Rapsteppich sah ich, umstrahlt von einer Pollengloriole, diesen mageren Ritter wie eine Erscheinung. Spielte er nur, was er von Zigarettenbildchen kannte, oder war er siegesgewiss? Mein Atem beruhigte sich, mein Schweiß brannte unter dem Gummi auf der Haut, und ich beneidete diese seltsam verlorene Gestalt dort draußen.
Eines Abends nahm uns der Waffenwart, Oberscharführer Rinkel, aufs Korn. Wir hatten schon längere Zeit das Gefühl, dass er uns nicht wohlgesonnen war, und versuchten ihm, so gut es ging, auszuweichen. Das Areal mit Unterkünften, Küche, Speisesaal und Magazin war jedoch klein, nicht mehr als eine kurze Straße, an einem Ende begrenzt vom Lagerzaun, am anderen von den Kräuterbeeten der Gärtnerei, und so war es unmöglich, Rinkel nicht irgendwann zu begegnen. Diesmal sah er uns schon aus zwanzig Metern Entfernung, eilte heran, ließ uns Haltung annehmen und überlegte, was er mit uns
Weitere Kostenlose Bücher