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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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beachtete mich mehr. Die Ukrainer starrten reglos auf das grobe Kopfsteinpflaster in den von Insektenschwärmen durchzogenen Lichtflecken, ganz so, als würde sich jeder Einzelne von ihnen an etwas erinnern.
    Auch in dieser Nacht fand ich keinen Schlaf, erhob mich nach Stunden, es mochte kurz vor Morgengrauen sein. Ich stieg über die am Boden Liegenden, trat auf Hände, stieß Köpfe beiseite und löste damit Jammern und Schimpfen aus.
    Ich schlich durch den vom Schnarchen und Ächzen erfüllten Gang, vorbei an den verschlossenen Türen der Krankenstuben. Vorn aber erwartete mich eine böse Überraschung, die Eingangstür war abgeschlossen, der Weg zur Veranda versperrt. Ich machte kehrt und eilte zurück, vor der Zimmertür fragte ich mich, wie ich der drangvollen Enge des Zimmers entgehen könnte. Schließlich nahm ich die Treppe in den ersten Stock. Vielleicht war Dr. Stein noch in einem der improvisierten Büros, vielleicht auch Schultheiss oder einer der Helfer. Es war egal, im Grunde brauchte ich nur Gesellschaft. Oben angekommen stolperte ich über eine Primel, die im Weg stand und in ihrem kleinen Topf so einsam aussah, wie ich mich fühlte. Mein Rücken schmerzte und unter dem Verband juckte meine Gesichtshaut.
    Hier oben gab es nicht einmal eine Wache. Zwei Räume waren ebenfalls Krankenstuben, die Türen mit Nummern gekennzeichnet, ein weiterer Raum diente als Büro und ein anderer als Lager für medizinische Instrumente und Arzneien. Wenigstens aber war ich hier ungestört und konnte Ruhe finden. Neben ein paar leergeräumten Aktenschränken kauerte ich nieder.
    Ich wusste, denn oft hatte ich es sagen hören, dass dieser Bereich frei bleiben musste; es gab dafür Anordnungen und sie wurden strikt eingehalten. Die Versuchung war groß gewesen, die beiden Lämmer, die sich vor Tagen in den Hof verirrt hatten, hier oben vor der Nachtkälte in Schutz zu bringen. Sosehr die Schwestern ihn auch darum baten, Dr. Stein gestattete es nicht. Sie standen vor dem Eingang zur Küche und diskutierten lautstark. Die Schwestern wandten ein, dass es ja nur vorübergehend sei, um die Tiere vor dem sicheren Tod zu bewahren. Dr. Stein aber ließ sich nicht beirren, sagte, ein Bereich müsse frei bleiben, da sonst alles immer weiterwuchern und irgendwann über ihre Köpfe hinauswachsen würde. Ordnung sei keine Frage von Regel und Ausnahme, Ordnung sei ein kompromisslos aufrechtzuerhaltender Zustand.
    Murrend fügten sich die Schwestern, sie waren enttäuscht und doch bemüht, es nicht zu zeigen. Am übernächsten Morgen lagen die beiden Lämmer tot im Garten. Auch mehrere Versuche von Schultheiss und einer russischen Helferin hatten sie nicht dazu bringen können, die Umfriedung zu verlassen. Seltsamerweise wollten sie in dem von kaltem Schlamm bedeckten Vorhof bleiben. Die jüngste der Schwestern, Katharina, lastete den Tod der Tiere Dr. Stein an, verbreitete sich bei jeder Zigarettenpause darüber
    Ich dachte an die Krankenschwestern, wie sie vor den aufgerissenen Augen der Verwundeten durch die Gänge stolzierten, wo sie den Männern wie Königinnen erscheinen mussten. Vor allem die Blicke der allmählich Genesenden folgten ihnen gierig. Wie im Triumph über die Sterbenden ringsum reckten sie ihre Hälse, solange die Frauen in Sichtweite waren und sandten ihnen obszöne Gesten nach. Die Schwestern ignorierten es, und das machte sie noch anziehender.
    »Ich kann sie bis hierher riechen, diese Nutten«, sagte einmal einer, der keinen Meter von der Lazarettküche entfernt am Boden lag. Er winkte mich zu sich, reckte seinen zerzausten Kopf hoch und teilte mir in verschwörerischem Ton mit: »Durch den Kartoffeldunst, Mensch. Ich rieche sie, wirklich, und weißt du, woran das liegt? Weil diese Miststücke sich absichtlich nicht waschen, ja, glaub’s nur ruhig, die wollen uns verrückt machen. Hast du Tabak?«
    Ich konnte es den Männern nachempfinden. Auch ich war nicht imstande, den Blick von diesen Frauen zu wenden, die manchmal, vielleicht nur aus alter Gewohnheit, die Hüften schwenkten und dabei so betont kühl dreinschauten, als gehörte das zu ihren bitteren Pflichten.
    Aber ich spürte bei ihrem Anblick keine Erregung, alles an mir, außer meinen Wunden, schien gefühllos zu sein. Immer am Morgen zeigte Katharina ihr hübsches, schnippisches Lächeln, das sie im Laufe des Tages jedoch verlor, bis ihr volles und doch blasses Gesicht nur noch eine Maske war.
    Gegen Abend wusch sie sich bei jeder Gelegenheit die Hände,

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