Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
mir vertraut vorkam wie ein alter Bekannter. Und noch etwas fiel mir auf an der nachlässigen und etwas linkischen Art, in der er sich bewegt und den Leuchter angefasst hatte: Diese Leute waren Fremde in dem Haus. Mochten sie es als Versteck nutzen oder zufällig ausgesucht haben; die wahren Bewohner des Viertels waren lange schon fort.
    Unten im Haus ertönten Geräusche, ich vernahm Stimmen und den schweren Atem einer Frau, als sie die Treppen hinaufstieg. Mein Herz schlug mir so stark im Hals, dass ich meine Finger unwillkürlich unter den Verband schob, um ihn zu lockern. Es war nicht so sehr die Angst vor dem Sterben, die mich leiden ließ, als die Empfindung der Verlassenheit. Unheimlich war diese schwach beleuchtete Kammer, ein Gehäuse von Toten, die noch anwesend waren in all den anderen leeren Räumen mit geplünderten Kommoden und feuchten Tapeten, und ich wusste wie damals in jenem Lagerhaus in Bagdad wieder um meine verborgene Schwäche. Alles, was ich gelernt hatte, was ich durch meine inzwischen verlorene Uniform sein wollte, sollte sie nur bemänteln, und dieser Gedanke ließ mich nach Luft schnappen; mein Innenleben drohte mich zu ersticken.
    Eine dicke, ältere Frau zwängte sich durch die Luke, erhob sich schwerfällig und zog ihr Kopftuch zurecht. Ihr folgte mein anderer Entführer, zusammen nahmen sie mich in Augenschein. Die Frau grinste und zeigte mir dabei ihre metallisch glänzenden Vorderzähne. Sie schnaufte und der Junge zog ihr einen Stuhl heran, in den sie sich setzte. Einen Augenblick lang starrte sie mich an, dann sagte sie in fast akzentfreiem Deutsch:
    »Wer bist du?«
    Ich überlegte, was ich antworten sollte, doch mir wollte nichts einfallen. Meine Finger steckten noch immer unter dem Verband. Ohne weiter darüber nachzudenken, hob ich den anderen Arm und wies auf den Spiegel. Die Frau gab den Jungen Zeichen und diese holten den Spiegel heran, stellten ihn so, dass ich mich darin sehen konnte.
    »Die Deutschen ziehen ab. Hörst du es? Bist du ein Deutscher?« Es lag keine Feindseligkeit in ihrer Stimme und doch fürchtete ich sie.
    Tatsächlich waren draußen entfernte Motorengeräusche zu hören. Irgendwo in der Umgegend gab es noch eine einsame Acht-Achter-Kanone, das Symbol unserer Anwesenheit hier, und die sinnlose Frage bedrängte mich förmlich, ob man sie zurücklassen würde. Der Junge, der die Wurst mit mir geteilt hatte, kam herüber, legte mir das Messer an den Hals und begann den Verband aufzuschneiden. Er tat es sehr vorsichtig und mit jedem kleinen Schnitt atmete ich freier. Schicht um Schicht befreite ich mich von dem Fetzen, voll atemloser Spannung zu sehen, was von mir übrig geblieben war.
    »Ich bin kein Deutscher«, sagte ich. »Ich komme von weit her und ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«
    Für den Moment war es das Beste, was ich sagen konnte.
    Ich blickte auf mein Abbild und hoffte, die entstellte Fratze würde ihre Neugier befriedigen. Die Frau ließ meine Hände nicht aus den Augen, während ich mir den klebrigen Stoff von den Wangen reißen musste. Das Gesicht im dunklen Spiegel neben ihr durchlief nun Wellen, als würde es auftauchen, rosig und braun: Es war roh, das Antlitz eines anderen, der sich plötzlich an alles erinnern konnte, was ich getan hatte.
    Hauptsturmführer Teuer wurde unser neuer Chef. Man hatte ihn extra aus Rostock geholt und darüber war er ganz offensichtlich nicht erfreut. Schon beim Begrüßungsappell im Feldlager stand uns dieser schmächtige Mann feindselig gegenüber. Mit hängenden Schultern, zerknitterter Feldbluse und offener Jacke blickte er zu Boden, während sein Adjutant Rummelsperger die Begrüßungsworte sprechen musste. Je länger wir Teuer beobachteten, umso sicherer wurden wir, dass er getrunken hatte. Er konnte sich kaum gerade halten, immer wieder trat er von einem Bein auf das andere und dazu noch atmete er schwer. Ab und an hob er ruckartig den Kopf, blickte über uns hinweg in die Ferne und schien sich für seine eigene Ansprache zu sammeln. Rummelsperger erklärte, dass von nun an ein anderer Wind wehen und hart durchgegriffen würde, zumal dem Stab in Minsk zu Ohren gekommen sei, dass in dieser Einheit Sittenverfall und möglicherweise sogar Verrat herrsche.
    Er drückte sich umständlich aus, doch als endlich jeder begriffen hatte, mit welcher Schärfe er uns bezichtigte, geriet die Truppe in Unruhe. Das war der Moment, in dem Teuer sich straffte und das Wort ergriff.
    »Männer, was hier gesagt wurde,

Weitere Kostenlose Bücher