Ein weißes Land
beruht auf Gerüchten, die allgemein bereits die Runde machen. Ich bin da, um der Sache auf den Grund zu gehen und, wenn nötig, abzustellen, was an Schlendrian sich eingeschlichen hat. Sturmbannführer Müller-Abig hat sich gewiss etwas dabei gedacht, euch die lange Leine zu lassen, und mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen. Gewöhnt euch aber daran, dass die Zeit der Faulenzerei jetzt endet. Der deutsche Soldat verreckt an der Front und ihr seid hier hinten auf Hühnerklau. Davon hat niemand etwas.«
Die Rede hatte ihn erschöpft, er fiel wieder in sich zusammen, blickte zu Boden und gab seinem Adjutanten ein Zeichen. Rummelsperger fuhr fort:
»Um der Sache eine Form zu geben, werdet ihr hiermit darüber informiert, dass euer Bataillon umbenannt wird. Von heute an seid ihr nicht mehr die Turkestanische oder Ostturkestanische, sondern die Ostmuselmanische Einheit. Gewöhnt euch daran. In den nächsten Tagen übrigens erwarten wir Frischlinge.«
Teuer wandte sich abrupt ab und wankte zur Befehlsbaracke. Rummelsperger hingegen traktierte uns noch eine Weile mit Einzelheiten über bevorstehende Umstrukturierungen.
Das Getuschel begann bereits am Abend in der Kantinenbaracke. Sogar einer der Verpflegungs-Scharführer, wie alle höheren Ränge ein Volksdeutscher, saß bei uns, drehte sich nervös eine Zigarette und ließ den Tabakbeutel herumgehen. Alles, was dieser vierschrötige Mann aus Königsberg wollte, waren Informationen; jede Neuigkeit schien jetzt überlebenswichtig. Fadil hielt sich zunächst zurück, meinte dann aber nach einigem Nachdenken, die Tatsache, dass die Einheit schon wieder umbenannt werde, bedeute nichts Gutes.
»Die Deutschen bekommen einfach keine Ordnung hinein. Sie erfinden immer neue Namen für die gleichen Dinge.«
»Was heißt das?«, fragte der Scharführer ungeduldig.
»Nun«, begann Fadil und ließ kurz wieder seine alte Selbstgefälligkeit erkennen, »wenn ich nicht fähig bin, einer Sache einen Namen zu geben, dann kenne ich die Sache nicht. Ich weiß nicht, was es ist, ich kann nichts damit anfangen. Überlegt doch, sie ordnen die Truppenteile ständig neu, sie erfinden Unterabteilungen und neue Uniformen – sie wissen nicht mehr, was sie tun.«
Er schaufelte lustlos die letzten Happen in sich hinein und warf das Blechgeschirr dann vor sich auf den Tisch.
»Und schaut euch den Hauptsturmführer doch mal an: Für ihn ist das Kommando hier nichts als eine Strafe. Er hat etwas verbrochen, deshalb wurde er hergeschickt.«
Wir blickten ihn verunsichert an und schwiegen.
In den Tagen nach Müller-Abigs Tod hatte sich der Himmel wieder zugezogen, nichts erinnerte mehr an die kristallklare Weite, aus der heraus er erschossen worden war. Und bereits die erste Nacht unter dem neuen Kommando machte uns mit jenen neuen Regeln bekannt, die von nun an herrschen sollten.
Gegen zwei Uhr wurden wir von Lärm geweckt. Teuer stieß lallend Flüche und Befehle aus, er schien aufs Äußerste erregt zu sein. Ein Unterscharführer polterte in die Baracke und brüllte:
»Raus aus den Betten. Hoch mit euch und antreten!«
Schlaftrunken versammelten wir uns wieder auf dem Appellplatz. Uns gegenüber standen bewaffnete Kameraden in voller Kampfmontur. Ich hatte Mühe, den Worten des Hauptsturmführers zu folgen. Mit schwerer Zunge berichtete er uns von der langen Unterredung, die er an diesem Abend mit allen Führern der Einheit abgehalten habe. Er sei zu der Überzeugung gekommen, dass man das Übel nur mit Stumpf und Stiel ausrotten könne.
Plötzlich hielt er seine Waffe in der Hand und richtete sie auf die Russen, die sofort umstellt und in die Mitte des Platzes getrieben wurden. Ein kalter Schauer durchfuhr mich, denn in ihrer nicht einmal zur Auflehnung fähigen Erschöpfung erkannte ich meine eigene; das brachte mir Arkadi und seine Leute näher. Der ganze Haufen schwieg, niemand protestierte, obwohl wir alle sofort wussten, was Teuer vorhatte. Es war, als willigten wir ein in das Unvermeidliche, so wie wir es schon Dutzende Male getan hatten, als wären wir trainiert für den Schrecken ebendieser Augenblicke, der uns immer wieder den Atem nahm und doch nicht einmal mehr zwang wegzuschauen.
Feldspaten wurden verteilt und in einer langen Prozession zogen wir alle hinaus vor den Lagerzaun. Teuer war so betrunken, dass er in unsere Kolonne taumelte und wütend die Leute um sich fortstieß. Mit den kurzen Spaten, deren Kanten wir regelmäßig schliffen, hatten einige der Russen eine
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