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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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presste meine Schulter nieder. »Ja, natürlich sollst du allein gehen. Was soll er denken, wenn du mit einer Armee bei ihm auftauchst? Ich muss wissen, wo er ist und was er vorhat. Heute Nacht muss ich das wissen.«
    »Ist es so weit?«, wagte ich zu fragen.
    Nidal atmete tief ein. »Ja, alle Rechnungen werden beglichen. Du weißt, was du zu tun hast: Du kommst zu meinem Haus, egal, wie spät es wird. Und«, er packte meine Schulter, »du sprichst zu niemandem darüber, schon gar nicht zu Fadil oder einem von seiner Bande. Hast du das verstanden?«
    Ich nickte und Nidals Griff löste sich, mit einem Stoß schob mich der Offizier in Richtung der Tür. Gleich darauf rief er mich noch einmal zurück und beschrieb mir den Weg zu seinem Haus.
    Die Schwarzhemden hatten sich vor dem Gebäude versammelt und warteten auf Fadils Befehle. Als ich zu ihnen trat, wurde ich kameradschaftlich begrüßt und sofort aufgefordert, einen der schweren Farbeimer zu tragen. Fadil sah ausgeruht und sauber aus, als hätte er sich eben gerade für das Unternehmen zurechtgemacht. Er stolzierte vor der Gruppe auf und ab, legte die Hand ans Kinn und sprach langsam, darum bemüht, seinen Worten etwas Feierliches zu geben. So erfuhr ich, dass die bevorstehende Aktion von Bedeutung war für das Vaterland, da sie sich gegen den inneren Feind richtete, der gemeinsam mit den Briten kurz davor stand, die rechtmäßigen Herrscher des Landes zu stürzen.
    »Wir werden ihnen eine Lehre erteilen, die sie so schnell nicht vergessen«, sagte Fadil. »Der morgige Tag wird ein Tag des Schreckens für sie sein.«
    Damit machten wir uns auf den Weg, und diesmal erschien die dunkle Stadt wie eine unheimliche Kulisse, in der ich mich jedoch halbwegs sicher bewegen konnte. Was ich sah, war unwirklich, die wenigen Leute auf den Straßen nahmen Reißaus vor der herannahenden Gruppe. Die Schwarzhemden plauderten miteinander und lachten, als ginge es auf einen Ferienausflug. Nichts deutete auf die dramatische Situation hin, die eben noch beschworen worden war.
    Den ganzen Weg über plagte mich der Gedanke, Malik verraten zu müssen. Ich wusste, dass Nidal es ernst meinte. Wir gingen schnell und die rote Farbe schwappte über den Eimerrand auf meine neue Hose. Doch es kümmerte mich nicht mehr, ich zweifelte nur, ob ich würde weiterleben können mit der Schuld, die ich mir aufzuladen im Begriff war.
    Rauch lag in der Luft und in einigen Gassen flackerte Feuerschein. Ich blickte verstört in die Nacht und ahnte, dass ich keine Wahl hatte. Wem sollte ich mich anschließen? Malik war kein Schutz mehr, wenn Nidal es auf ihn abgesehen hatte. Ich stand auf der richtigen Seite, wollte ich das Kommende überstehen. Und ich war sicher, dass jeder in der Gruppe dieses Gefühl mit mir teilte, dass die Fröhlichkeit der Jungen gespielt war. Sie alle hatten Angst und keiner von ihnen würde auch nur eine einzige Anweisung missachten.
    Der Shorjah-Markt war ebenso verlassen wie die Gassen des Viertels, alle Geschäfte waren verriegelt und selbst die Ratten und Hunde hatten sich verkrochen. Fadil sammelte uns um sich.
    »Jeder Shop eines Juden wird markiert«, sagte er. »Ihr wisst, welche es sind. Wenn ihr nicht sicher seid, fragt mich. An die Arbeit.«
    Wir schwärmten aus, schwangen die Strohbesen und malten große rote Kreuze an die Bretterverschläge, die Türen und selbst auf die blinden Fenster der Lagerräume. Da wir uns Zeit lassen konnten, kreisten manche die Kreuze noch ein oder malten kleine Figuren daneben. Ich begnügte mich mit dem Nötigsten, achtete aber darauf, die richtigen Läden zu finden. Es schien mir wichtig, hier keinen Fehler zu begehen, so wichtig, dass es mich kurzzeitig von dem ablenkte, was ich noch zu tun hatte.
    Als wir mit dem Markt fertig waren, zogen wir weiter durch die Gassen und kennzeichneten die Häuser der ärmeren Juden, die hier wohnten. Ich entfernte mich allmählich von der Gruppe, bis ich außer Sichtweite war, stellte den Eimer ab und rannte durch die leeren Straßen davon, immer in Richtung des Flusses. Musste ich Atem schöpfen, blieb ich stehen und blickte hinter mich. Da ich nicht wusste, wie spät es war, legte ich nur kurze Pausen ein. Ich wollte meinen Auftrag ausführen und so schnell wie möglich zurückkehren.
    Doch irrte ich lange am Tigrisufer herum, kämpfte mich durch Gestrüpp und Müllhaufen auf der Suche nach einem Boot. Als der Morgen graute, fand ich, verfangen im Schilf, tatsächlich jenes wieder, das ich

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