Ein weißes Land
noch nicht sicher. Die anderen warten vor dem Tor«, keuchte ich.
Ezras Mutter, die Frau, deren Namen ich nicht einmal kannte, ging schreiend auf mich los, ihre Finger fuhren mir ins Gesicht.
»Warum hast du ihn hereingebracht?«, sagte sie immer wieder, die Frage schien sie verrückt zu machen.
Ezra und sein Vater mussten sie von ihrem Opfer zerren, und sie hatten einige Mühe dabei. Ich hielt mir das Gesicht und befühlte die tiefen Kratzer auf der Haut, das Blut rann mir über die Wangen.
»Sie stehen draußen«, stieß ich hervor, »wir müssen etwas tun. Gibt es irgendwelche Waffen?«
Mirjam hatte sich aufgerichtet, hielt sich sehr gerade und warf mir einen kalten Blick zu.
»Du bist wie sie alle«, flüsterte sie, »ein Wegelagerer und Strolch. Ihr streicht um die Häuser und wollt immer nur nehmen, stehlen wollt ihr, überall. Wie ich euch hasse, wie ich dieses Land hasse.«
Ihre Mutter nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten, doch Mirjam war außer sich.
»Einer von denen hat mich jeden Tag, wenn ich zur Schule ging, im Vorbeigehen unten angefasst, er hat darauf gewartet, es tun zu können, jeden Tag. Ich konnte ihm nicht ausweichen, er ist mir gefolgt, wohin ich auch ging, nur um mir zu zeigen, dass ich mich nicht wehren kann. Er hatte recht, Nana, verstehst du. Und der dort hing wie ein Affe an unserem Fenster und lässt dieses Tier hier zu uns herein.«
Ihre Mutter legte ihr die Hand auf die Augen.
Ich schämte mich, am liebsten hätte ich mich irgendwo versteckt, nur um die Blicke der anderen loszuwerden. Doch regte sich in mir auch Zorn über ihr ungerechtes Urteil. Gern hätte ich gesagt, dass ich sie nie bestohlen oder angefasst habe. Dass im Gegenteil sie mich gereizt habe. All das aber war unwichtig, ich wischte mir das Blut aus dem Gesicht und packte Ezras Arm.
»Sie warten vor dem Tor und werden hereinkommen. Wir müssen uns wehren.«
Endlich erfasste Ezra die Gefahr. Er wandte sich um, trat noch einmal heftig gegen Maliks Kopf und lief dann zusammen mit seinem Vater und mir hinauf in die Wohnräume. Doch es war bereits zu spät, die Bande war über das Tor geklettert und sammelte sich im Garten, Abdel hatte sein Messer gezückt und kommandierte die anderen. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich etwas Vergleichbares gespürt: Meine Lebenskraft wich augenblicklich einer Kälte, die nichts anderes war als der Vorbote des Todes, meine Glieder wurden steif, ganz langsam schritt ich rückwärts und legte die Hände flach an die Wand hinter mir. Doch hätte ich keinerlei Kraft gehabt zu klettern, wohin auch immer. Ich dachte an den üppigen Garten im Sonnenlicht, hörte Salomons leises, klagendes Gebet und die schweren Schritte der Männer, die sich jetzt verteilt hatten, um von beiden Seiten in das Haus einzudringen. Ezra stürzte in den Innenhof zurück, ich konnte sehen, wie er die Nerven verlor, mit beiden Händen an der Balustrade riss, weil er nicht wusste, was er tun sollte.
Ein Krachen ertönte und ließ jeden im Haus erstarren, sogar Salomon verstummte. Ich sprang vorwärts und blickte zum Tor hinüber. Es stand offen und Soldaten postierten sich im Garten. Gleich darauf fielen Schüsse und ich sah Nidal, der, den Revolver schwenkend, unrasiert und mit offener Uniformjacke, Befehle gab. Eine Minute später stand er vor uns, blickte sich um, trat zu mir und packte meine Schulter.
»Wo ist Malik?«, fragte er laut. »Du hast gesagt, er ist hier.«
Er stieß mich von sich, als ich geantwortet hatte und ging in den Innenhof. Ezra hatte sich erholt und trat ihm in den Weg.
»Meine Mutter und meine Schwester sind dort«, sagte er.
»Dann hol sie«, erwiderte der Offizier und scheuchte ihn vor sich her.
Ezra beeilte sich, hastete die Treppe hinunter zum Vorratsraum, zog die Frauen an den Armen heraus. Nidal zögerte nicht. Drei Schüsse hallten durch das Haus, dann kam der Offizier gelöst und beinahe schlendernd zurück.
»Gut gemacht«, sagte er zu mir und lächelte sogar.
Er blickte zu Salomon. Der stand stumm und mit ausdruckslosem Gesicht da. Obwohl er gerettet war, lähmte ihn seine Schutzlosigkeit noch immer.
»Was ist Reichtum ohne Macht?«, warf Nidal ihm hin und zog mich mit sich in den Garten. »Habt ihr sie alle?«, fragte er die Soldaten, sie bejahten. »Es waren sechs, mit Malik, oder?«
Ich nickte. »Sind sie alle tot?«
»Ja«, sagte Nidal, »willst du sie sehen?«
Ich wollte und der Offizier führte mich um das Haus. Im Schatten hoher Rosensträucher
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