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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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nur zum Schmuck aufgestellt, es gab keinerlei alkoholische Getränke und das Essen wurde gesittet im europäischen Stil gereicht. Er war informiert über des Führers Abneigung gegen jede Art von Drogenkonsum und Völlerei.
    Wenn er es für geboten hielt, nahm der Großmufti sogar den Turban ab. Er, der in Palästina denjenigen, die es wagten, eine falsche Kopfbedeckung zu tragen, die Todesstrafe angedroht hatte, saß hier wie ein deutscher Mann neben seiner Frau, um den Gästen zu zeigen, dass auch er die Zeichen der Zeit verstanden und sich entschlossen hatte, aller Welt seine Fortschrittlichkeit zu demonstrieren. Er wollte ein arabischer Partner sein, ein Bundesgenosse der Zukunft an der Seite der Deutschen und nicht die hoffnungslose Lakaienseele, welche die Franzosen, oder der manipulierbare Dummkopf, den die Engländer in jedem Araber sahen.
    Nach allem, was ich beobachtete, war er damit sehr erfolgreich. Seine Gäste, die steif und zunächst ein wenig unsicher eintraten, ihre Mützen in den Händen drehten und die ornamentreiche Einrichtung musterten, fühlten sich nach wenigen Minuten wie daheim, plauderten, tranken Tee und hatten, tief in sie eingesunken, wenig Lust, sich aus den dicken Polstern zu erheben.
    Abu Hashim war neben Haddad der zweite Sekretär meines Herrn und für mich die wichtigste Person in dessen Gefolge. Das lag zum einen an seiner Klugheit, zum anderen aber auch an seinem sanften Wesen. Fadil und mich behandelte er wie seinesgleichen. Ihm fiel die Aufgabe zu, uns zu unterrichten, was bedeutete, dass er sich zu weniger geschäftigen Zeiten mit uns zusammensetzte, um Neuigkeiten zu besprechen und Deutsch zu lernen. Ich hätte das am liebsten jeden Tag getan, denn der Sekretär war außer Fadil der Einzige, mit dem ich über Bagdad sprechen konnte. Er war viel in der Stadt unterwegs gewesen, kannte auch die ärmeren Viertel und sprach gern darüber.
    Abu Hashim war ein schmaler Mann mit großem Kopf. Er trug nie eine Kopfbedeckung, sein kahler Schädel glänzte im Lampenlicht, und wenn er zu uns sprach, legte sich seine hohe Stirn in viele kleine Falten. Seine Brille mit schwarzem Rahmen rutschte ihm die Nase herunter, bis er sie mit einer schnellen Bewegung wieder hinaufschob. Seine ruhige Stimme und der gedämpfte Tonfall in Verbindung mit heftigem Gestikulieren wurden für mich zum Inbegriff von Gelehrsamkeit. Fadil hingegen mochte ihn nicht, für ihn war er ein Schwächling, der unnütze Worte machte und viel zu oft zweifelte. Die Geschichten aus Bagdad interessierten ihn kaum, und wie schon bei den Offizieren blieb Fadil ganz auf mich fixiert, lauschte unseren Gesprächen so aufmerksam, als wollte er jemandem davon berichten.
    Je länger ich Abu Hashim kannte, desto besser meinte ich zu wissen, wie er dachte. Wovon unser Herr im Brustton der Überzeugung sprach, das arbeitete der Sekretär noch einmal durch und prüfte es, indem er sehr genau auf unsere Umgebung achtete, auf alle, die uns besuchten, auf die Nachrichten in Zeitungen und im Radio. Er war gut informiert, doch sagte er uns nicht alles, was er wusste. So blieb mir nur, ihm, wann immer ich konnte, Fragen zu stellen. Manchmal lächelte er und schüttelte den Kopf, dann hatte ich die Grenze erreicht.
    An unserem ersten Abend erzählte er in fast nostalgischem Ton vom Putsch der Offiziere in Bagdad, damals, als Premier Nuri as-Said gestürzt wurde und unsere allzu kurze Zeit der Herrschaft anbrach. Davon, wie unsere Getreuen in der Nacht vor dem Umsturz in den königlichen Palast eindrangen, durch dunkle Säle und über Treppenfluchten schlichen, um den Premier zu überraschen. Mehrere Ärzte waren dabei und einer von ihnen trug einen komplett ausgefüllten Totenschein bei sich: Herzversagen sollte die Ursache für den Tod des Premiers sein, der aber im letzten Moment, nur Stunden vorher, die Stadt verlassen hatte.
    »Wir waren zu langsam«, sagte Abu Hashim nachdenklich. »Obwohl wir getan haben, was wir konnten, kamen wir zu spät.« Er blickte Fadil und mich erstaunt an. »Nicht alles kann man planen und nur Gott weiß, warum etwas gelingt und anderes, vielleicht Besseres, nicht.«
    Dieser Gedanke bedrückte mich, denn ich war überzeugt, dass er sich nicht nur auf das Schicksal des Premiers bezog, sondern auch auf unsere Unternehmung hier. Vielleicht fehlte Abu Hashim der Glaube, vielleicht waren, wie Fadil meinte, seine Zweifel gefährlich für unsere Sache. Dennoch aber war mir dieser Mann nahe, aus irgendeinem Grunde

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