Ein weißes Land
konnte, seinen breiten Rücken zu. Ich habe nie erfahren, wer er war, aber von all den wichtigen Männern, die ich nun kennenlernen sollte, war er der Erste, daher ist er mir im Gedächtnis geblieben mit seinen öligen Haaren unter der Tellermütze und den dicken, fransenbehängten Schulterstücken.
Immer wieder krallte ich mich an die Blechschale des Sitzes und war sicher, jeden Moment zappelnd durch die Luft zu stürzen, als die Maschine endlich abhob, den Boden verlor wie etwas, mit dem sie lieber verbunden bleiben wollte.
Ich sah Städte unter mir, hell und von Ruß bestäubt wie riesige Fladenbrote. Ich, der nur Bagdad kannte, für den ein Blick von der Ghazi-Brücke oder von erkletterten Häusern mehr war, als er je zu sehen erwarten konnte, ich saß in einer Maschine, die jede Entfernung spielend überwand, während an ihren verglasten Öffnungen die Wolken entlangzogen.
Trotz der Zwischenlandungen auf buckligen Behelfspisten, zog unsere wechselnden Flugmaschinen der Magnetberg an: Berlin, jene Stadt im Herzen des Großdeutschen Reiches. Wir konnten ihr nicht ausweichen, und durch Dunkelheit und graue Wolken stieß der Vogel Roch schließlich hinab, Fetzen zogen wie Rauchschwaden an uns vorbei. Voller Erwartung blickte ich auf die Erde hinunter, und als die Wolken die Sicht endgültig freigaben, sah ich nichts. Berlin, Hauptstadt des Reiches, das Zentrum der Macht und all unserer politischen Hoffnungen, war unsichtbar, versunken in der schwarzen Erde ringsum. Ich hielt nach allen Seiten Ausschau, doch sosehr ich mich auch bemühte, kein Haus, keine Straße, nicht einmal das Flugfeld war zu erkennen, bis wir schließlich landeten. Das war mein erster, erschreckender Eindruck von diesem Ort und ich konnte ihn nicht vergessen während meines gesamten Aufenthalts. Der steinerne Reichsadler, düster vor nackten, gesprenkelten Höhlenwänden, und das Hakenkreuzbanner, im Nachtwind an den Seilen zerrend und fast grau im Licht von Luftschutzlampen – nichts konnte mir den Gedanken austreiben, in einer Totenstadt gelandet zu sein, einem Ort der Verdammten.
Die Gruppe um den Großmufti war klein. Zunächst gab es da die Sekretäre, vornehmlich Männer aus Palästina und Ägypten. Haddad war der Wichtigste von ihnen, ein verschlossener, bedrohlich wirkender Mann, jederzeit ernst und so aufmerksam, dass ich ihm, so gut es ging, aus dem Weg zu gehen versuchte. Rasul stammte aus Kairo und war mir weitaus sympathischer. Er trug eine dicke Brille und konnte seine nervösen Hände kaum unter Kontrolle halten. Der Großmufti schätzte ihn als Buchhalter mit dem Gedächtnis eines Elefanten und ertrug es sogar, dass dieser Mann ständig verschwand, um irgendwo draußen zu rauchen. Rasul beeindruckte mich mit seiner Verwandlungsfähigkeit. Begegneten wir uns, was selten vorkam, allein vor dem Haus, wurde er zu einem Straßenjungen wie ich. Er spuckte aus, kratzte sich zwischen den Beinen, machte schmutzige Witze und lachte selbst am lautesten. Bevor er jedoch wieder hineinging, versteifte sich sein Nacken, er hob die Schultern, atmete kurz ein und war wieder der stille, fleißige Mann, der die Nase kaum einmal vom Papier hob.
Den Übersetzer Firas, ursprünglich aus Damaskus, hatte es über die Türkei bis nach Deutschland verschlagen. Überall blieb er nur kurze Zeit, doch er las die Sprachen auf wie bunte Steine. Sechs hatte er bislang in seiner Sammlung. Sie erlaubten ihm, wie er nicht müde wurde zu betonen, sich selbst zu helfen, wo andere den Fremden zur Last fielen. Er trug einen Fez und europäische Anzüge. Mit seinem gestutzten Schnurrbart hätte man ihn leicht für einen Lebemann halten können. Dabei war er ein außerordentlich treuer Gefolgsmann des Großmuftis, der ihm nach Jahren des Umherirrens nicht nur eine Aufgabe, sondern auch Orientierung in der Welt gegeben hatte.
Der schwergewichtige Bakr tat nichts lieber als essen. Bei den Besprechungen mit dem Großmufti zeigte sein teigiges Gesicht stets einen leidenden Ausdruck, der erst verschwand, wenn er am Tisch saß und der Duft der Speisen in seine Nase drang. Da wurde er gesprächig, in Vorfreude entspannte sich sein Körper so sehr, dass er vom Stuhl zu rutschen schien. Er war ein entfernter Verwandter des Großmuftis und zusammen mit Rasul ständig um ihn. Dadurch hatten die beiden eine gewisse Macht über den Rest des Gefolges, der aus untergeordneten Sekretären und drei finsteren Gesellen bestand, die Rasul irgendwann einmal als »Prätorianer«
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