Ein weißes Land
bezeichnete. Auch von ihnen hielt ich mich fern. Einer, der Beduine Musa, machte sich einen Spaß daraus, nach mir zu treten und mich beiseitezustoßen, wann immer er in meiner Nähe war.
Dennoch wurde ich nicht schlecht behandelt, alles aber, was ich zu tun hatte, war warten, bereitstehen. Das verband mich mehr mit den dicken schnauzbärtigen Herren im Erdgeschoss als mit den munteren livrierten Hoteldienern, denen man ansehen konnte, dass sie nur still waren, weil sie es zu sein hatten.
Ich war über den Verlauf des Krieges nicht gut informiert. Doch je länger ich mich in der Nähe des Großmuftis befand, desto weniger schien dieser mich wahrzunehmen, so dass er bald recht unbefangen mit seinen Beratern und am Telefon sprach, auch wenn ich in Hörweite war. So erfuhr ich das Wesentliche: Die deutschen Truppen siegten weiterhin, wo immer sie im Einsatz waren, in Nordafrika und kurz vor Moskau. Der Großmufti erklärte den Sekretären die verschobene Invasion Englands damit, dass der Führer weit größere Pläne im Osten hatte. Jetzt, im November, glaubte ich spüren zu können, welch ein Sommer rauschhafter Erwartung hinter den Menschen lag und wie erschöpft er sie zurückgelassen hatte. Vor den Hausfassaden machte der Regen die langen roten Banner mit dem Hakenkreuz schwer und fleckig. Eine besinnliche Zeit schien begonnen zu haben, Frauen eilten, die kleinen Hüte ins Gesicht gezogen, unter kahl werdenden Bäumen die Gehsteige entlang, große gelbe Busse mit toten, schwarzgestrichenen Fenstern pflügten imposant durch aufschäumende Wasserpfützen.
Wenn ich Gelegenheit hatte, ein paar Schritte vor dem Hotel zu tun, blickte ich an den Häusern hinauf und bewunderte ihre glatten Wände, an denen ich wahrscheinlich nicht hätte hinaufklettern können. Inmitten von Deutschen beobachtete ich die Wachablösung vor der Neuen Reichskanzlei und rief mir andächtig ins Bewusstsein, dass hier auch über die Zukunft der Araber entschieden wurde. Angestrahlt von der Mittagssonne erhob sich das längliche Portal wie der Eingang für einen schmalen Riesen, auf den noch gewartet wurde. Glaubte man dem Großmufti, so war es ausgemacht, dass von dieser Stadt aus einmal die Welt regiert werden würde. Jeder wusste es, auch wenn eine geheime Melancholie in der Luft lag und vielleicht mehr als das: Angst vor der Zukunft.
Und doch war ich überwältigt von dem, was ich bereits gesehen hatte. Je weiter westwärts ich gekommen war, umso mehr Häuser und Maschinen, Schiffe, Autos und Radios hatte ich gesehen – es war, als würde aus einer Sandpiste eine gepflasterte Straße. Das war der Fortschritt, von dem mein Vater nur erzählen konnte, was er aus Magazinen darüber wusste, und nicht einmal unsere Lehrer hatten auch nur eine Ahnung davon gehabt, wie real all das schon war, was sie uns mit ihren Büchern zu erklären suchten. Wir kannten das Kino und schrien laut auf, wenn sich der Bösewicht der schönen, unschuldigen Frau näherte, wir kämpften mit uns, nicht aufzuspringen, ihm in den Arm zu fallen und die Leinwand herunterzureißen. In unserer Welt waren die Phantome des Lichts und der Elektrizität wirklich, wir suchten wie Kinder mit offenen Mündern das kleine Orchester im Radio und die Musik in den Rillen der Schallplatte, während so viele andere längst wussten, dass der Äther Trompete spielen und ein Luftschiff von Berlin nach New York fliegen und am Empire State Building anlegen konnte, um seine Passagiere mitten im Straßengewimmel der großen Stadt aussteigen zu lassen.
Vielleicht, dachte ich, hatte Salomon eine Ahnung davon, er konnte als Einziger das Wort Fortschritt aussprechen, ohne dass es nachgeplappert klang, er schien zu wissen, was damit gemeint war. Doch wie konnte er leben inmitten von Eselstreibern und Räubern wie mir? Ich selbst hasste alles, was ich zurückließ, wollte nicht mehr denken an die blutigen Handabdrücke auf den Häusern der Armen und an den vom Rauch erstickten Ruf des Muezzins, der mir nun erschien wie der Inbegriff von Monotonie und Trauer.
Die offizielle Zugehörigkeit zum Gefolge erlangten Fadil und ich erst durch die Papiere, die uns der Großmufti feierlich aushändigte.
»Das ist keine Kennkarte, wie sie die übrigen Deutschen haben«, sagte er, als er sie vor uns hielt. »Es ist ein besonderer Ausweis und ihr müsst ihn immer bei euch tragen, dürft ihn nur aus der Hand geben, wenn ihr kontrolliert werdet. Das ist sehr wichtig, denn ihr befindet euch hier in einem fremden
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