Ein weites Feld
genüßlich: »Wird man nicht los, dieses erst zögerliche, dann hemmungslose Offenlegen des Innersten, dieses Geflüster beiderseits des hölzernen Gitters, das Ohr des Priesters und den reuigen Mund: Ja, ich habe gesündigt … in Gedanken, Worten und Werken … Ach, und dann endlich die Absolution, dieses Gefühl, neugeboren, sozusagen taufrisch zu sein. Wie ne Dusche ist das, erst ne heiße, dann ne kalte … Verdanke der katholischen Kirche ne Menge. Die Kirche weiß, was im Menschen drinsteckt, und hat tausend Techniken entwickelt, die auf ne subtile Weise die Zunge lösen. Die Kirche ist immer da. In ihrem Arm singen alle. Und mit nem Trick wie dem Beichtgeheimnis kann man sogar ne Sorte redselig machen, die sich für hartgesotten hält. Bedauerlich nur, daß mein Biograph, der ja sonst alles offengelegt hat, ne gewisse Hemmung hatte, meiner in Beichtstühlen erfahrenen Prägung Beachtung zu schenken …«
»Furchtbar richtig!« rief Fonty. »Auch ich hätte beizeiten das katholische Unterfutter Ihrer ansonsten weltlichen Firma erkennen müssen …«
»Späte Einsichten!«
»Aber Hand aufs Herz, Hoftaller, praktizieren Sie immer noch?«
»Irgendwie hört das nie auf.«
»Sie meinen, wir alle sitzen lebenslänglich im Beichtstuhl?«
»Konfession spielt dabei nur ne geringe Rolle. Zwar hat Ihr Fräulein Tochter den Glauben gewechselt, doch die Sünden, unsere Sünden bleiben sich treu …«
Tags drauf war Fonty allein unterwegs. Anfangs besuchte er die Kneipe »Keglerheim« in der Lychener Straße, die ihm von früher, doch nicht als Stammlokal vertraut war. Als er mit kleinem Bier an der Theke stand, empfand er die neuerdings installierten Spielautomaten und die aus jeder Ecke den Schankraum beschallende, dabei ständig rumsende Musik als störend; nur die auf der Speisekarte angebotenen Gerichte, etwa Schweinshaxe und Schlachteplatte oder Kohlroulade, sagten ihm zu, desgleichen die noch nicht verwestlichten Preise; doch für ein Hochzeitsessen waren diese Berliner Spezialitäten kaum geeignet. Er ließ den Blick wandern, verweilte bei den über der Thekenwand angepappten Lokalgrößen, erkannte Nante den Eckensteher, den Leierkastenmann, die Harfenjule und Zille in seinem Milljöh. Dann las er die Glaubenssatzung aller Kegelbrüder in Form geschwungener Inschrift – »Gut Holz und alle Neune!« –, vergewisserte sich durch Nachfrage, daß beide Kegelbahnen noch immer in Betrieb und, wie der Wirt sagte, »bis nache Einheit und innen Oktober rein« ausgebucht seien. Er legte sich Zitate zurecht, die seinem Spott auf alles Berlinische zupaß kamen – ›Jede Semmel ist pappig, jedes Stück Fleisch schmeckt nach Kellermuff, und kein Buchbinder kann ein Buch hübsch einbinden; und dabei der unerträglichste Dünkel …« –, trank aber dann doch noch einen Nordhäuser Korn zum letzten Bierschluck und prostete sich dabei zu: Nein, hier soll Mete nicht ihre späte Hochzeit feiern müssen; doch auf dem Prenzlberg schon. Sein Viertel. In diesem Quartier war er als Fonty bekannt; sogar die Straßenkinder riefen ihm nach. Hier war der Mief besonders dicht und von Heimlichkeiten gesättigt. Hier hatte sich in diversen Lokalen die Szene mehr selbstbezogen als konspirativ versammelt. In einem Stadtteil wie diesem war jeder des anderen Informant und keiner unbeschattet gewesen. Hier waren Gedichte geheckt und wie Kassiber gehandelt worden. Verrat ging ein und aus, und wie Wechselgeld blieb Verdacht im Umlauf. Talente trugen auf beiden Schultern. Und schon jetzt galten Lokale, die gestern noch den ungebundenen Genies als Umschlagplätze gedient hatten, als historischer Ort: Da war doch mal was, da soll ein Spitzel, der als hochbegabt gehandelt wurde, und noch ein Spitzel, dem der Mund überging, denn da trafen sich, da haben sich immer wieder, da soll sogar, da verging Zeit, darüber ist Zeit vergangen; doch für Fonty, der hier zu Hause war, wollte nichts vergangen sein, sondern alles gegenwärtig, auf Abruf. Zum Wirt des Keglerheims sagte er: »Berlin hat sich kolossal verändert. Wir verdanken das weitaus am meisten dem Asphalt und den Pferdebahnen«; dann zahlte er und ging. Von hier aus war es nah zum verschachtelten und mit Zinnen und Türmchen gekrönten Backsteingemäuer der alten Schultheiß-Brauerei, die neuerdings als Kulturbrauerei in Betrieb war und mit täglich aufgefrischtem Spektakel Publikum fand. Über die Senefelder kam er zur rechts abzweigenden Stubbenkammerstraße, wo er ein Ecklokal, die
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