Ein weites Feld
einen Kelch heben; und nun erst griffen sie gleichzeitig zu: die Braut und der Bräutigam; dem war es jüngst gelungen, in Schwerin eine Zweigstelle seiner Münsteraner Firma zu eröffnen. Heinz-Martin Grundmann hob sein Glas in Augenhöhe und rief: »Verstehe: Entsage! Ist originell! Aber, mein lieber Schwiegervater, diesen Hochzeitsspruch werden sich Martha und ich bestimmt nicht in die Ringe gravieren lassen. Einfach köstlich, entsage. Darauf laßt uns anstoßen: Entsage!« Woraufhin Friedel Wuttke seinem Schwager, dem er zuprostete, ins Gesicht lachte. Noch lauter und mitreißender lachte Inge Scherwinski, die mit ihrer Jugendfreundin anstieß. Als sich der Priester ein Schmunzeln über gehobenem Kelch erlaubte, begann die Grundmanntochter Martina zu kichern und steckte damit Frau von Bunsen an. Schließlich lief das Gelächter rundum, denn weder Emmi Wuttke noch ich konnten uns zurückhalten. Was blieb der Braut und dem Bräutigam übrig, als beim Klang der Gläser jenes einzelne Wort lachhaft zu finden, das soviel Heiterkeit ausgelöst hatte. Nur der Brautvater trank dem Brautpaar feierlich ernst zu. Jetzt erst bemerkte ich, daß Fonty auf dem linken Revers seines schwarzen, im Verlauf der Jahre ein wenig zu weit gewordenen Jacketts ein Ordensband samt baumelnder Medaille trug. Sein Anzug für Vorträge, dekoriert während Kulturbundzeiten. Doch wie er in grauer Weste unter der Jacke und mit zur Schleife geordneter Halsbinde dastand und mit weißhaarigem Haupt und überm geneigten Rotweinglas strähnig hängendem Schnauz aufs Wohl der Brautleute trank, wobei er seinen Blick über das Hochzeitspaar hinweg gleiten ließ, hätte er anstelle der für »Verdienste um das kulturelle Erbe« verliehenen Dekoration, links auf der Brust, ein anderes Markenzeichen spät nachklappernder Ehre tragen können: den Hohenzollernhausorden erster Klasse.
Wir stritten ein wenig, ob dem Archiv das Recht zustünde, den chronologischen Ablauf der Hochzeit zu mißachten und die Tischrede einfach vorzuziehen. Korrekt wäre es gewesen, wenn schon nicht mit allen rituellen Einzelheiten der Trauung in der Hedwigskirche, dann doch mit der Vorspeise, mit Lachs, Meerrettichsahne und trockenem Chablis aus alten Gläsern zu beginnen. Ich wäre dafür gewesen, mit Inge Scherwinskis den Akt der Trauung überschwemmenden Freudentränen den Kirchenraum einzubeziehen, und gleich danach hätte der Wirt der Offenbach-Stuben die Hochzeitsgäste begrüßen und mit allen Gastzimmern bekannt machen können. Das darf nun nachgeholt werden, denn es war ja nicht so, daß wir vom Schankraum direkt durch den Flur und an der Küche vorbei in das Musikzimmer geleitet wurden, wo jedem der vielen Instrumente eine Legende anhing und der gedeckte Tisch wartete. Zeit für einen Aperitif – »auf Kosten des Hauses« – gehörte zum Festplan. Und mit gefüllten Gläsern führte der Wirt die als »geschlossene Gesellschaft« angemeldeten Gäste vom Schankraum durch alle drei dahinterliegenden Stuben. Waren die Tapeten der ersten in Lindgrün gehalten, ging von den folgenden, die englischrot und blau-violett tapeziert waren, jene aus frivoler Laune und mitreißender Sangeslust gemischte Stimmung aus, die der Name des Restaurants seinen Gästen versprach. Ich erlaubte mir einige Bemerkungen zu Karl Kraus’ Bemühungen um Jacques Offenbach und nahm die hier hängende Zimmerdekoration, hinter Glas gerahmte Kostümentwürfe zu Felsensteins »Blaubart«Inszenierung, zum Anlaß für kulturgeschichtliche Hinweise. »Verstehe«, sagte der Bräutigam, »leichte Muse mit zeitgenössischem Pfiff.« Den Schankraum schmückten durch Signatur wertvoll gemachte Photos von Künstlern, unter ihnen einige noch immer bekannte. Und als Münzautomat stand dort eine Vitrine, in der, nach Einwurf, fingerlange Tänzerinnen im Tutu die Beine zu werfen und zu einschlägiger Musik Cancan zu tanzen begannen. Ein Sammlerstück, das der Wirt nur selten in Gang setzte, so – auf Fontys Wunsch – zu Marthas Hochzeit. Man klatschte Beifall, als der Tanz nach letzten Zuckungen endete. Doch so einladend sich die OffenbachStuben mit gedeckten Tischen anboten, fast leer waren sie trotzdem. Der Wirt klagte darüber: Gleich nach der Währungsunion sei ihm die Stammkundschaft weggeblieben. »Erst gegen Abend wird es lebhaft, aber jetzt, über Mittag, ist ziemlich Flaute. Was soll’s, kann ja nur besser werden.« Heinz-Martin Grundmann, der mir bereits auf dem Standesamt in maßgeschneidertem Zustand
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