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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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als straffer Herr mit Halbglatze vorgestellt worden war, gab sich als ein an allem interessierter und selbst den alltäglichen Nöten gegenüber aufgeschlossener Mann: »Wem gehört denn dieses heruntergekommene Eckgrundstück? Verstehe! Aus München haben sich Altbesitzer gemeldet, selbstredend mit Mieterhöhung. Donnerwetter, die langen aber zu. Das setzt Kasse voraus. Wird nicht einfach sein.« Er schaffe das schon, versicherte der Wirt, ein schmächtiger Mittvierziger, der selbst gerne Bühnenkünstler geworden wäre, es aber immerhin -»und das trotz Sozialismus« – zu einem beliebten und – »bis kurz vorm Umbruch« -immer proppevollen Künstlerlokal gebracht hatte: »War nicht leicht, wenn man privat bleiben wollte.« Grundmann wünschte Glück und einen tüchtigen Steuerberater. Friedel Wuttke stand fremd und betont abseits seiner Familie. Inge Scherwinski hätte gerne noch einmal die Püppchen tanzen sehen. Der Priester wirkte angestrengt. Ich versuchte, mit Frau von Bunsen ins Gespräch zu kommen. Die Braut blickte mürrisch drein. Des Bräutigams Tochter nannte die Offenbach-Stuben »niedlich«. Der Brautvater schwieg. Endlich leitete der Wirt die Hochzeitsgesellschaft in das Musikzimmer, in dem Emmi Wuttke mit ihren Kärtchen die Tischordnung bestimmt hatte. Brautpaar und Braut-Eltern saßen sich gegenüber. Ihnen gehörte die Mitte der Langseite, zwischen ihnen ein Blumengebinde. Emmi hatte den Priester zur Seite. Neben Fonty, den der Wirt übrigens immer wieder respektvoll als »Herr Wuttke« angeredet hatte – »Der Chablis selbstverständlich eisgekühlt, Herr Wuttke« –, saß Martina Grundmann, die in den ersten Semestern steckende Studentin. Dem Bräutigam war als Trauzeugin die Schwester seiner verstorbenen Frau zur Seite gesetzt worden. Ich hatte die Braut am nächsten. Für Inge Scherwinski war am rechten Kopfende des Tisches gedeckt. Das linke Kopfende blieb für Friedel Wuttke. Die meisten am Tisch waren einander fremd oder, was den verlorenen Sohn Friedel betraf, fremd geworden. Selbst als die Vorspeise, der hauchzart in Scheiben geschnittene Lachs, serviert war, kamen Tischgespräche nur stockend in Gang. Frau von Bunsen beteuerte ihrem einstigen Schwager wiederholt, daß sie »alles Erdenkliche« getan habe, um den Sohn Thomas, von dem zu hören war, wie leicht ihm sein Jurastudium falle, »aus seinem Schmollwinkel« herauszulocken: »Er hängt besonders an der Mutter.«
    »Bei uns war och nichts zu machen«, bestätigte Emmi über den Tisch hinweg. »Unser Teddy meint immer noch, er darf nich rüber zu uns, weil er in Bonn nämlich Beamter ist auf der Hardthöhe, wo die Verteidigung sitzt. Dabei wäre die Hochzeit ne prima Gelegenheit für uns gewesen, sich mal richtig auszusprechen nach so langer Zeit …«
    »Das wird sich schon noch ergeben«, sagte der Priester, »wir sind uns ja alle fremd geworden, leider, bis in die Familien hinein.« Inge Scherwinski, die nicht nur aus Hemmung laut sprach, wollte über die Länge des Tisches hinweg von Friedel Wuttke wissen, ob er sich noch an seine Kindheit in der Kollwitzstraße erinnere. »Mußte doch ehrlich zugeben, is ne schöne Jugend jewesen in dem ollen Kasten und auffem Hinterhof. Na, im Schuppen drin, weißte noch, Friedel?« Als keine Antwort kam, zeigte sie Verständnis: ›War trotzdem richtig, daß ihr drüben jeblieben seid alle drei, als die hier dichtjemacht haben alles. Aber vermißt haben wir dir …« Endlich gab der oben schon kahle Verlagskaufmann zu, sich »an die Kastanie im Hinterhof« zu erinnern, »aber Heimweh, dafür hatten Teddy und ich keine Zeit. Und Georg schon gar nicht, weil er zum Bund ging und später in Aurich als Pilot bei den Starfightern … Da war Leistung gefragt … Ihr habt ja keine Ahnung … Aber lassen wir das.« Wie gut, daß der Bräutigam zustimmte: »Was gewesen ist, ist gewesen. Heut wolln wir fröhlich sein!« Denn die so frühzeitig beendete Offizierskarriere des Hauptmanns Georg Wuttke wäre kein Thema für die Hochzeitsgesellschaft gewesen, bestimmt nicht für Emmi und Martha, die ohnehin ängstlich Friedels Anspielungen auf den Dollpunkt der Familie zu überhören versuchten und Halt bei Lachs und Toast fanden. Leichter hatte es Martina Grundmann, die auf Fonty einredete, indem sie die Probleme westlicher Studenten in überfüllten Hörsälen in so drangvoller Enge ausmalte, daß für interessierte Zwischenfragen kein Platz blieb. Der Brautvater war mit seinen Gedanken auswärts. Das

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