Ein weites Feld
sahen die Braut und deren Mutter mit Sorge. Emmi neigte sich dem Ohr ihres Tischnachbarn zu: »Er sammelt sich, Hochwürden. Gleich wenn die Teller leer sind, fängt mein Wuttke zu reden an. Das kenn ich von früher. War meistens ganz schlimm. Wenn er mal nur nich aus der Rolle fällt.« Aber Fonty schwieg noch ein Weilchen. Fast sah es so aus, als hörte er auf das Geplapper der nicht nur hübschen, sondern auch mit gefälligem Chic ganz in Türkis eingekleideten Studentin. Ich versuchte, die neben mir schwer atmende Braut mit einem Scherz zu beruhigen: »Wollen wir wetten, daß er uns die Hochzeitsgesellschaft aus dem ›Stechlin‹ samt Rex und Czako auftischt?« Aber Marthas Verdacht horchte an anderer Tür: »Wenn er bloß nicht mit dem Architekt anfängt, der seine Mete geheiratet hat, und womöglich diesen Professor Fritsch mit meinem Grundmann verwechselt. Das halt ich nicht aus. Jedenfalls heut nicht.« Wir irrten beide, denn als die Reste der Vorspeise abgetragen waren und der Wirt persönlich dem Brautvater einen Schluck Medoc zum Vorkosten eingegossen und Fonty die Probe für gut befunden hatte, woraufhin beiderseits des Tisches eingeschenkt wurde – nur Friedel deckte sein Glas mit der Hand ab und verlangte nach Fachinger –, erhob sich Theo Wuttke zu einer Tischrede, die in ganz anderer Richtung daneben war, weil in ihrem mal abschweifenden, dann wieder die heikle Sache auf den Punkt bringenden Verlauf jenes Nebenwerk des Unsterblichen an Bedeutung gewann, in dem mit dem Grafen Petöfy und dessen Schwester der österreichisch-ungarische Katholizismus zum Zuge kam; doch sprach Fonty, wie wir nun wissen, so launig über die Tauschwerte des Konvertierens und so riskant an Klippen vorbei, daß Emmi, die ja immer das Schlimmste befürchtete, nur selten mit Einwürfen – »Nu mach aber nen Punkt, Wuttke!« – den Redefluß einzudämmen versuchte. Zu ihrer und Marthas Beruhigung war es dem Bräutigam gelungen, das zum Schluß gelüftete Geheimnis des katholischen Ringes, die betont protestantische Weisung »Entsage!«, mit Humor zu nehmen. Grundmann sagte, nachdem das Gelächter abgeebbt war und alle einander mit Rotwein, Friedel mit Fachinger im Glas zugeprostet hatten: »Verstehe! Wir sollen sozusagen auf Sparflamme kochen. Aber das ist keine Devise für Bauunternehmer. Wir nehmen, was wir kriegen. Wir kleckern nicht, Schwiegervater, wir klotzen!«
Kaum hatte die Tischrede ihr Ende gefunden, wurde die rosa gebratene Entenbrust namens »Schöne Helena« aufgetragen. Es hätte auch, wie gesagt, der nach Offenbachs »Orpheus in der Unterwelt« benannte Ochsenrücken, gewiß nicht das als »Barkarole« gepriesene Lachsfilet mit Kräuterbutter, bestimmt aber »Popolanis Zauberei«, nämlich Kaninchen in Burgunder, sein können, und sei es, um des Sozis und Karnickelzüchters Max Wuttke freundlich zu gedenken. Als alle zu Messer und Gabel griffen, sagte der Brautvater: »Eigentlich hatte ich mich für Ochsenrücken entschieden, aber meine Emilie war strikt gegen Orpheus. Und ›Ritter Blaubart‹ als Rinderfilet mißfiel ihr gleichfalls, dabei hätte dessen Wiederholungstätergeschichte eine Menge Anspielungen erlaubt, zum Beispiel auf die verbotenen Zimmer einer jeden Ehe, gleich welcher.« Die Entenbrust namens Helena gab nicht so viel her, zumal der Braut Gesichtszüge, die einander ständig widersprachen, keine Schönheit im klassischen Sinn zuließen. Solange des Vaters Rede von jähen Abstürzen bedroht war, hatte ihr kleiner ängstlicher Mund dem Blick, der auf den leeren Teller gerichtet blieb, Tränen einreden wollen. Dafür war nun kein Anlaß. Das Tischgeplauder lobte die Ente und mehr noch die Orangensoße. Die Kartoffelpuffer wurden originell genannt. Frau von Bunsen sprach von »sächsischen Einflüssen auf die Berliner Küche«, und Inge Scherwinski rief: »Dat hieß bis vor kurzem bei uns noch Sättigungsbeilage, ehrlich!« Jeder erinnerte sich an vergleichbar köstliche Entengerichte. Martina Grundmann schwärmte von einem Wochenendtrip nach Amsterdam, wo sie kürzlich mit Freunden ihren zwanzigsten Geburtstag bei »ganz lecker knuspriger Pekingente« gefeiert habe.
»Was gab’s denn zu deiner Hochzeit damals?« wollte
Emmi von ihrem Sohn hören.
»Ich bekam ja keine Genehmigung, all die Jahre nich,
rüberzureisen.«
Friedel Wuttke wollte auf den Beginn seiner inzwischen geschiedenen Ehe nicht eingehen. »Lassen wir doch die alten Geschichten! Aber vielleicht dürfen wir erfahren, wie der
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