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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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der Zeremonie in der Hedwigskirche versprochen hatte. Gleich nach der Trauung begann er zu mäkeln, und als er sich später bei Tisch richtig auskollerte, fiel das Wort »Schummelpackung«. Meinen Einwand »Sogar die katholische Kirche muß mit der Zeit gehen« hat er verlacht: »Der Papst hält es mit den Buchhändlern, die wenden sich, wie das Publikum, schnell anderen Göttern zu. Alles lebt nur auf acht Tage hin!« Noch mehr Spitzen schoß Fonty auf dem Bebelplatz ab, wo sich die Hochzeitsgesellschaft bei bedecktem Himmel versammeln mußte; auf Wunsch des Bräutigams mal so, mal so für Photos gruppiert und vor wechselnde Kulissen gestellt, bis sie von einem Regenschauer vertrieben wurden. Mit Mühe fanden sich vier Taxis, und »ziemlich abgeduscht«, wie Fonty sagte, fand die Gesellschaft endlich zum Prenzlauer Berg in die Offenbach-Stuben.
    Dort wartete der für nur zehn Personen gedeckte Tisch, an dem nach einigem Hin und Her alle mit Hilfe handgeschriebener Tischkärtchen ihren Platz fanden. Professor Freundlich und Frau hatten nicht kommen können; sie sahen sich, laut Telegramm und zu Fontys Bedauern, leider verhindert: »Unaufschiebbare Universitätstermine …« Doch war aus Jena rechtzeitig ein üppiges Blumenbukett geliefert worden, das sogar Emmi Wuttke gefiel, der die Freundlichs sonst kaum etwas recht machen konnten. Die Tischkärtchen waren Emmis eigenhändig umgesetzte Idee; sie hatte sich seit Schulzeiten einen der Sütterlinschrift abgewandelten Schriftzug bewahrt, dessen kindlich korrekt gezogene Schleifen allen Gästen Eindruck machten. Jemand rief: »Wie niedlich!«, und selbst Fonty packte ein Lob – »Dank sei meiner allen Wechselfällen des Lebens trotzenden Emilie gesagt« – in seine Tischrede, die er jedoch nicht sogleich, sondern erst zwischen der Vorspeise – hausgebeizter Lachs mit Sahnemeerrettich – und dem Hauptgericht namens »Schöne Helena« – rosa gebratene Entenbrust mit Orangensoße, dazu Gemüse und Kartoffelpuffer – stehend und freiweg zu halten begann, wenngleich ihm schon in der Kirche und angesichts des »kolossal ausgenüchterten Katholizismus‹~ nach längerer Rede gewesen war. Zu seinem Sohn Friedel, den er als Kind oder nur von Photos her kannte und der sich ohnehin vorgenommen hatte, beleidigt zu sein, sagte er, als beide noch in Sankt Hedwig familiär Seite an Seite saßen: »Dazu kann man nur schweigen oder eine Menge gepfefferten Unsinn reden. Na wartet, bei Tisch fällt mir sicher was Unpassendes ein.« Wenn es nach Fontys Wunsch gegangen wäre, hätte »Orpheus in der Unterwelt«, nämlich geschmorter Ochsenbraten in Zwetschgensoße mit Speckbohnen, als Hauptgericht serviert werden sollen, doch war es Emmi gelungen, ihm den Orpheus auszureden und – als passend zum festlichen Anlaß – die »Schöne Helena« zu empfehlen; folglich gab ihm die äußerlich kroß gebratene, doch innen saftig gebliebene Entenbrust, kaum saß die Gesellschaft, einige gewagte Anspielungen ein: »Schöne Helena paßt immer. Doch zartrosa muß nicht jüngferlich heißen. Die Braut, unsere schon so lange zuwartende Schönheit, versteht, was gemeint ist.« Solche Einfälle machten Emmi besorgt. Und weil sie auf ihres Wuttke Reden noch nie mildernden Einfluß gehabt hatte, befürchtete sie weitere Ausrutscher; an denen sollte es nicht fehlen, als er an sein Glas schlug und sich erhob.
    Kaum war es dem Brautvater gelungen, mit einer eher koketten Entschuldigung -»Ich kann gut plaudern, aber schlecht sprechen« – genügend Auslauf für Eskapaden zu schaffen, nannte er anfangs seiner geliebten Tochter Parteiaustritt und Kircheneintritt ein »ökumenisches Wechselbad«, gewann dann ihrer neuen Perspektive einige Rückblicke ins finstere Mittelalter »inklusive Hexenverbrennungen« ab, prophezeite: »Der Scheiterhaufen kommt wieder in Mode«, wurde nun ganz und gar Fonty, indem er sein Romanpersonal musterte und nach nur kurzem Suchen der Hochzeitsgesellschaft die Schauspielerin Franziska Franz vorstellte, die er eine »übrigens aus Swinemünde stammende Plaudertasche« nannte. Nun erst wurde der Titelheld des Romans, der alte Graf Petöfy, »ein wenig knickbeinig« der Braut zur Seite gestellt und deren in Wien zelebrierte Hochzeit – »natürlich zu Beginn des dreizehnten Kapitels« – als wiederholt vollzogene Trauung abgefeiert: »Denn zuerst wurde in der Augustinerkirche, danach in der protestantischen, die sich in der Gumpendorfer Straße befindet, das Ja

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