Ein weites Feld
ausgesprochen.« Und nun kam er abermals auf die Braut: »Franziska war zwar nicht blutjung, aber – im Vergleich zu dem verlebten und alsbald abgelebten Grafen ungarischen Geblüts -noch immer ein junges Ding, dem das Leben sperrangelweit offenstand …«
Man mußte nicht Kenner des heute vergessenen Romans sein, um die Anspielung auf den Altersunterschied zwischen den gerade Frischvermählten, der achtunddreißigjährigen Martha und dem sechsundfünfzigjährigen Bauunternehmer Grundmann, als riskant zu begreifen, zumal Fonty mit seinem Hinweis auf des »abgelebten Grafen baldiges Ende« den katastrophalen Schluß des Romans ins Spiel brachte und diesen auch noch als »erzähltechnisch geschickt« lobte: »So gelingt es dem Autor, den nur vom Ergebnis her handlungsfördernden Pistolenschuß auszusparen.
Kein Tröpfchen Blut fließt literarisch. Alles Interesse darf sich der jungen Witwe und ihrem Seelenkummer hingeben …«
Dann aber rettete Fonty das Brautpaar, die Tischgesellschaft und sich selbst aus der leichtfertig herbeigeplauderten und von Emmi befürchteten Schieflage, indem er eine seiner von uns bewunderten Volten schlug: »Aber was rede ich da! Altersunterschied muß nicht scheiden! Altersvorsprung ist immerhin Vorsprung! Oder wie schon der greise Petöfy als Lebemann und deshalb genüßlich spekulierte: Der Jugend Überschuß und schneller Verbrauch könne dem genügsamen Alter Wegzehrung sein. Deshalb nochmals: Hauptsache, das ja stimmt!«
Und schon war der Brautvater, der das Auftragen des Hauptgerichts ein wenig verzögern wollte, wieder beim Traualtar und allgemein beim Katholischen angelangt, dessen Wesen er als »in Jahrhunderten geübte Disziplin des längeren Atems« lobte und als »farbenprächtig bis in den Sündenfall hinein« pries, während er dem Protestantismus »eine mehr graphische Linienführung« nachsagte, die »auf weiß gekalktem Grund immerfort Schuld suche und anschwärze«. Damit war der Tischredner bei des alten Grafen so betagter wie frommer Schwester Judith und dem allgegenwärtigen Pater Feßler gelandet und sogleich inmitten jener verräterischen Ringgeschichte, bei der es, gegen Ende des Romans, um Petschaftssprüche geht. Fonty, der einen pointierten Ausklang für seine Rede suchte, nahm, mit Blick auf den als Gast anwesenden Priester, rhetorisch Anlauf: »Hochwürden, ich muß gestehen, daß mir dieser Pater als schwarzer Papist und Anschwärzer jeglicher Irrlehre, ob lutherisch oder calvinistisch, dennoch Eindruck gemacht hat, weil er, wenngleich als ausgewiesener Dunkelmann, freimütig genug gewesen ist, seinen Siegelring mit der Inschrift eines Protestanten, mit der knappen Devise des berühmten Gelehrten Thomas Carlyle, zu zieren …« Als der Redner hier eine Kunstpause einlegte, wollte natürlich die Hochzeitsgesellschaft, voran der Bräutigam, den gravierten Wortlaut wissen. Heinz-Martin Grundmann rief: »Schluß mit der Geheimniskrämerei. Wie heißt denn der Spruch?«
»Entsage!« antwortete Fonty mit, wie immer, genauem Zitat und hob das Glas. Woraufhin alle anderen zögernd, dann aber doch ihre vom Medoc dunklen Gläser hoben: zuerst Emmi Wuttke, die keine peinliche Stille aufkommen lassen wollte; ihr folgte Friedrich, Friedel gerufen, der jüngste Bruder der Braut, den vor Jahrzehnten der Mauerbau zum jugendlichen Ostzonenflüchtling gemacht hatte und der mittlerweile in Wuppertal als Verlagsleiter tätig war; gleich nach ihm folgte die so hagere wie zugeknöpfte Schwester der vor fünf Jahren verstorbenen ersten Frau Grundmann der feierlichen Trinksitte: als verwitwete Bettina von Bunsen hatte sie in Freiburg im Breisgau die beiden mutterlosen Kinder des Bauunternehmers großgezogen; mit ihr zugleich hatte eines der Kinder, Martina, die in Köln Germanistik studierte und für hübsch oder niedlich angesehen wurde, ihr Glas gehoben; jetzt zog Inge Scherwinski nach, die als Freundin und Hausnachbarin der Braut eingeladen war, sich aber ihr schweres Los als alleinerziehende Mutter dreier Jungs nicht ansehen ließ, sondern unbeschwert überm Weinglas lächelte und dabei ihre Mäusezähnchen zeigte; nun griff auch ich zu, der vom Archiv ausgeliehene Trauzeuge, dem des Brautvaters Tischrede beruflich nahegegangen war; zu vorletzt legte der in der Hedwigskirche als Pfarrer amtierende Priester Bruno Matull, der Martha beim Konvertieren geholfen und ihr den ehelichen Segen erteilt hatte, die Finger beider Hände dergestalt priesterlich um das Glas, als wollte er
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