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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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daß Thomas jene Ritterlichkeit bewiesen hat, die dir sicher erwägenswert gewesen ist, desgleichen hat meine Schwester Cordula …«
»Stimmt, Papa! Thomas hat Martha, weil Mama das wollte, zu uns an den Tisch geholt, nicht wahr, Martha?«
»Ist doch nun gleich, wer kam. Mir war das ziemlich peinlich. Und daß euer Vater, kaum hatt ich mich gesetzt, den Kellner rangewinkt hat – und der spurte auch –, war mir noch peinlichen«
»Jedenfalls kam das Essen sofort: Suppe, Hauptgericht, Dessert, wie am Schnürchen, gegen Trinkgeld, versteht sich. Und unser Tischgespräch verlief schon bald – ich kann es nicht anders sagen – total unangestrengt, wie Deutsche mit Deutschen sprechen sollten, obgleich Martha ja damals noch äußerst parteilich von ›unserer Republik‹ und ganz vorsichtig nur von ›gewissen Schwierigkeiten beim sozialistischen Aufbau‹ geredet hat. Auch zwischen Martha und Cordula lief es vorzüglich. Das war ja leider ihre letzte Reise ins Ausland. Aber nur sie hat gewußt, wie krank sie wirklich war, und uns nichts gesagt bis zum Schluß. Dennoch ist es Cordula gewesen, die mir, als es zu Ende ging, dringlich geraten hat, den Kontakt mit Martha nicht abbrechen zu lassen. Die paßt zu dir, die denkt praktischer als ich, hat sie gesagt und gelächelt dabei … War aber gar nicht so einfach mit unseren Treffen in Ostberlin … Immer nur heimlich und viel zu kurz … Dabei riskant … Wurden bestimmt bespitzelt … Aber in Bulgarien haben wir dann jeden Sommer … Das zog sich in die Länge … Unsere Großprojekte … Aber selbst dort haben wir uns erst langsam … Nicht wahr, Martha?«
Alle schwiegen. Besonders deutlich schwieg der evangelische Verlagskaufmann Friedel Wuttke. Frau von Bunsens Schweigen richtete sich gegen die Braut und brachte kühl konserviertes Mißtrauen mit. Daß Martha schwieg, verwunderte niemanden. Wir hätten gerne mehr über die an Krebs gestorbene erste Frau Grundmann, geborene von Wangenheim, gewußt: ihr Verständnis, ihre Nachsicht. Wohl deshalb schloß Fontys Schweigen Erinnerungen an Christine von Arne auf Schloß Holkenäs ein, die bei den Herrnhutern zu vergleichbarer Selbstlosigkeit erzogen worden war. Ich hätte als Trauzeuge einiges dazu sagen, aus »Unwiederbringlich« zitieren, womöglich zu einer Tischrede ausholen und mit Holk beginnen können, der allerdings unter Christines Tugenden gelitten hat; aber ich schwieg, wie alle schwiegen, bis endlich Inge Scherwinski passende Worte fand: »Genau so isses gewesen bei uns im Osten. Ohne Westmark warste nich mal de Hälfte wert. Auch in Prag war es so, wo ich mit Wölfchen, was mein Jeschiedener Mann is, paarmal erlebt hab, wie unsereins nur schief anjeguckt wurde. War überall so inne sozialistischen Bruderländer. Aber nu wird ja alles besser, wo wir die Einheit kriegen: Deutschland, einig Vaterland! Darauf will ich mit mein Glas anstoßen, ehrlich. Nun trink mal bißken, Martha! Das muntert janz schön auf« Solch ein Toast wäre mir nicht gelungen. Alle prosteten einander zu. Sogar Frau von Bunsen hatte für die Braut ein nur noch halbgefrorenes Lächeln übrig. Und mit dem Stichwort »deutsche Einheit« war dem Tischgespräch hinlänglich Futter gegeben. Dazu hatten alle eine Meinung, die auch die neue, auf Vorschuß gelieferte Währung einschloß. Hochwürden Matull sagte: »Das Geld alleine wird es nicht bringen. Noch fehlt der Wille, einander hinzunehmen, wie wir geworden sind.« Der Bräutigam warnte vor zu großen Hoffnungen: »Hart arbeiten werdet ihr müssen, verdammt hart arbeiten, sonst läuft hier nichts, sonst geht es weiter bergab.« Und Friedel Wuttke verlangte nach schonungsloser Offenlegung der Schuld: »Das gilt für alle, die hier mitgemacht haben. Zum Beispiel wüßte ich gerne
-auch wenn das kein Hochzeitsthema ist –, wie meine Familie ja, Martha, ich meine dich, mit dieser Existenzlüge fertig wird. In Vaters Tischrede jedenfalls vermißte ich offene Worte. Habe nur Zweideutigkeiten gehört. So kommen wir nicht zusammen. Was wir brauchen, ist eine klare Offenlegung der Schuld. Deshalb wird mein Verlag zur Herbstmesse mit einem Buch auf dem Markt sein, das unter dem Titel ›Wie wir schuldig wurden‹ erschütternde bekenntnishafte Zeugnisse versammelt, und zwar aus Ost und West. Ein solches Bekenntnis würde ich gerne, wenn nicht von Martha, dann doch von dir, Vater, hören – und zwar ohne dein übliches Wenn und Aber.« Niemand wagte auf Fonty zu blicken, der seinem Sohn aufmerksam,

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