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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Dessertlöffels sein Glas klingen, schon kam er, wie gegen Widerstände, vom Stuhl hoch, schon waren alle ganz Ohr.

15 Weshalb die Braut weinte
    »Endlich«, flüsterte ich Martha zu, »nun bekommen wir den apostolischen Segen.« Die Braut mußte sich, weil größer als ich, ein wenig zu mir herabbeugen: »Erwarten Sie bloß nicht zuviel. Der hat es als Priester nicht leicht mit sich.«
    »Das gehört zum Berufsrisiko.«
»Aber er leidet besonders.«
»Sieht man …« Sobald ich Bruno Matull, der uns
    gegenüber saß und nun stand, voll anschaute, mich also weder von den Brauteltern noch von der hinlänglich hübschen Studentin ablenken ließ, erinnerten mich die körperlichen Ausmaße des Priesters, seine groben, rastlos ein Versteck suchenden Hände, sein massiger Schädel auf zu kurzem Hals und das wie eine Delle wirkende Grübchen im Kinn an die Qualen und Freuden meiner im thüringischen Eichsfeld verschütteten Kindheit – eine Gegend, in der es katholischer als sonstwo zuging, übrigens über die Staatsgrenze hinweg, denn das Eichsfeld war, wie Deutschland im Ganzen, geteilt, mehr noch: der Europa in Ost und West scheidende Schnitt verlief, aufwendig als Todesstreifen bewacht, mitten durch meine waldige Heimat. Und dort gab es einen Vikar, der ähnliche Schwierigkeiten mit seinen Händen und gleichfalls ein gedelltes Kinn hatte. Fast glaube ich, ihn kindlich geliebt zu haben, auch dann noch, als mir das rote Halstuch der Jungen Pioniere bedeutsamer wurde als die in unserer Familie traditionelle Meßdienerei.
    Der Vikar hieß Konrad. Den Nachnamen weiß ich nicht mehr. Er hatte schwarzes Kraushaar und roch nach Rasierwasser. Bis zur Firmung hing ich ihm an; doch im Verlauf meiner anfangs steilen FDJ-Karriere, die erst an der Leipziger Universität ins Stocken geriet und bald nach Professor Mayers Fortgang ihren Knick mit Folgen weghatte – ich wurde in die Braunkohlenproduktion gesteckt –, verblaßte der letzte katholische Zauber; nur der Vikar Konrad, der sich inzwischen längst bei den Bergleuten in Bischofferode in Amt und Würden befand, ging mir nie ganz verloren; vielmehr blieb er hintergründig genug, um dem Bibliothekar in Cottbus und später dem Mitarbeiter im Potsdamer Archiv über die Schulter zu gucken, und nun saß er mir als Bruno Matull gegenüber. Nein, er stand mittlerweile, riesig und ungeschlacht, massierte sein Kinn und dessen Grübchen, hatte ans Glas geschlagen und sammelte sich zur Rede, indem er seinen weich gezeichneten Mund öffnete, schloß, öffnete, dann wieder preßte, als wollte er die Lippen kneten und für längeren Gebrauch gefügig machen. Ein Fisch, der sprechen übte. Jemand, der es, nach Marthas Worten, nicht leicht mit sich hatte. Dieser Anstrengung konnte ich nicht länger zusehen. Deshalb hielt ich mich an Fonty, dem des Priesters Mühe viel Neugierde wert war. Vielleicht erwartete er eine Teufelsaustreibung oder die Beschwörung wundertätiger Reliquien, denn alles »Altgläubige« galt ihm als exotisch und ähnlich geheimnisvoll anziehend wie etwa die aus Fernost stammenden Mitbringsel im Kopenhagener Haus der Kapitänswitwe Hansen oder das Grab des Chinesen im pommerschen Kessin, der nachhaltig spukend die arme Effi um den Schlaf gebracht hat. Und wie dem Unsterblichen war ihm Romanpersonal mit katholischem Unterfutter – ob die Titelfigur Grete Minde oder Nebenpersonen wie Effis Magd Roswitha – stets ins Zwielichtige gerückt-, deshalb war ich sicher, daß Fonty, ähnlich wie ich, doch aus Gründen ganz anders gebetteter Kindheit, aus dem Mund des Priesters, wenn nicht eine kleine Offenbarung, dann doch etwas »kolossal Ketzerisches« erwartete. Ach, wenn er doch endlich zu Wort kommen und aufhören wollte, nur übungshalber die Lippen zu kneten. Beide hofften wir, daß der Fisch anfinge, zu uns zu sprechen.
    Bruno Matull war einer jener wenigen Gemeindehirten, der auf mildes Dauerlächeln, diese allen Zweifel wegschminkende Gewißheit der Pfaffen verzichtete, oder besser, dem es nicht gelang, diese Miene aufzusetzen. Wir sahen ihn als eher finster blickenden Mann von fast brutaler Gestalt, der stehend nach Worten suchte, einige fand und sogleich verwarf, neue als untauglich erprobte, ganze Sätze verschluckte, größere Brocken zerkaute, dabei bis über die Backenknochen rot anlief, um schließlich mit der Eröffnung »Liebe Brautleute, Trauzeugen und Hochzeitsgäste« überstürzt vom Brett zu springen, mitten hinein in die Wirrnisse des Zeitgeschehens, die

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