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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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draußen, außerhalb der Offenbach-Stuben, ihren Tages- und Tauschwert behaupteten. Indem Matull die Tischkante klammerte, als wollte er demnächst die Tafel umstürzen, sagte er: »Nichts ist von Dauer. Überall zerfällt, was gestern noch glaubte, von Bestand zu sein. Doch wie kam es zu diesem Mauersturz? O nein! Ein kurzes befreiendes Durchatmen genügte nicht, mehr war vonnöten. Aber nur wenige waren bereit, von innen an der Zwingburg zu rütteln. Und siehe da: Sie wankte, fiel, zerfiel, wurde sich selbst zum Spott. Jetzt erst kamen viele und sagten: Das Beben, das waren wir. Unser der Sieg! So legten sie falsches Zeugnis ab. In Wahrheit aber gab es unter den wenigen Rüttlern, die nicht lockergelassen hatten, etliche Hirten der anderen Glaubensgemeinschaft, während meine Kirche sich still verhielt, wohl meinend, sie sei nicht zuständig für die Zwänge dieser Welt. Auch ich blieb stumm, all die Jahre lang. Auch ich nahm hin, was nicht hinzunehmen war. Kein Mut war auf meiner Seite. So ging dem Hirten die Herde verloren, er aber tröstete sich und suchte Genüge in seinem Glauben. Da kam, verehrte Gäste, eine Frau zu mir, die nicht glaubte, doch Halt suchte. Ihr Glaube, der einst groß und von starker, jeden Zweifel überwindender Hoffnung gewesen sein muß, war ihr vergangen. Sie lästerte ihn, nannte ihn trügerisch und blindlings parteiisch. Von einem Glauben sprach sie, der sich nur nachäffe und so der Lüge Dauer verleihe. O ja, sie rechnete mir vor, um welchen Preis und auf wessen Kosten sie gläubig gewesen war. Beladen kam sie zu mir, bat um Entlastung; doch ich zweifelte, ob ihr mein Glaube, mein Stillhalteglaube, jenen Halt geben könnte, den sie suchte. War mir doch selber der Boden unter den Füßen schwankend geworden. Also geizte ich mit Tröstungen, sagte, auch mir sei die letzte Gewißheit abhanden gekommen, ein wüstes Feld, reich an Disteln, breite sich vor mir aus. Sie aber zwang mich, zu meinen verdorrten Glaubensresten zu stehen, und fragte dringlich: ›Priester, wo ist deine perspektive?‹ Ja, liebe Hochzeitsgäste, so sprach sie und ließ nicht von mir ab. So verlangend kam sie, daß ich heute der Braut Dank sagen muß, denn der eigentlich Bekehrte bin ich. Ihre Glaubenskraft, die nur umgepolt werden wollte und allzu leicht fällt es dem Hirten, einem verirrten Schaf das nächstliegende Gatter zu öffnen –, ihre im Grunde unbeirrbare Glaubensstärke hat mich zweifeln gelehrt. Mehr noch: ihr Hunger nach klarer, vom Glauben vorgezeichneter Perspektive hat mir Mut gemacht, des Glaubens Kehrseite, den unansehnlichen Zweifel, als Alltagskleid zu tragen, weshalb mir der Brautvater vorhin noch mit einem literarischen Gleichnis wahrgesprochen und so meine zweifelnde Seele gelabt hat. Wie jenem Pater Feßler in einem mir, wie ich gestehen muß, unbekannten Romanwerk, das ›Graf Petöfy‹ heißt, eine protestantische Lebensmaxime, das kategorische ›Entsage!‹, zu eigen ist, so hat mich des Brautvaters Tochter Martha mit ihrem Willen angestoßen. fortan dem Glauben zu entsagen. Ja, ich will ohne Glauben sein! Mehr noch: dieses ›Entsage!‹ befiehlt mir, wahrhaft nur noch dem Zweifel zu dienen und allerorts Zweifel zu säen. Denn. liebe Gäste, wurde nicht hierzulande zu viel und zu lange geglaubt? War Glaube nicht wohlfeil wie eine Hure? Und ist nicht wiederum neuer Glaube – diesmal der Glaube an die Allmacht des Geldes – billig zu haben und doch hoch im Kurs? Und sind uns nicht abermals Perspektiven vorgezeichnet, die jedermann, der ihnen gläubig folgt, in Kürze Gewinn und dort, wo das Graue obsiegt hat, das Trugbild blühende Landschaft verbeißen? Ich aber kann unseren lieben Brautleuten nur wenig auf den Weg geben, doch soviel immerhin: Glaubt nicht blindlings. Laßt endlich Gott aus dem Spiel. Gott existiert nur im Zweifel. Entsagt ihm! Müde aller Anbetung, lebt er vom Nein. Ihn dürstet nach nichts. Längst hätte der Glaube Gott abgetötet und in ein schwarzes Loch gestürzt, wenn nicht des Zweiflers Ruf – ›Es ist kein Gott!‹ -ihm Stachel und Ansporn, Labsal und Manna gewesen wäre …«
    An dieser Stelle seines Bekenntnisses wurde der Priester ums Wort gebracht. Der münsterländische Bräutigam, der als Bauunternehmer sein nahes und fernes Umfeld als Baugrund nach Gottes Willen wertete, und der pietistische Bruder der Braut, der als Verleger missionierende Schriften bis in die Dritte Welt hinein vertrieb und dabei irdischen und überirdischen Gewinn verbuchte,

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