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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Sympathisierendes über die Sozialdemokratie steht, heißt das noch lange nicht, daß mein Vater, der als gelernter Steindrucker natürlich ein Sozi war, mich auf Bebels Linie gebracht hätte. Humanismus ja, aber Partei nie!« Darauf sagte Professor Freundlich: »Für diese schwankend bürgerliche Position gab es ja extra den Kulturbund, eine Spielwiese mit wenig Auslauf, aber viel Betrieb. Jeder konnte halbwegs ungegängelt sein Steckenpferd reiten, wie ja auch Sie dort während Jahren Ihr märkisches Gärtchen bestellten und uns die Eintopfsuppe des Sozialismus mit einigen preußischen Zutaten verlängern durften. Andere haben, wie ich als Kind in Mexico City, ›Maikäfer flieg‹ und ähnlich unsterbliche Lieder gesungen. Sogar Briefmarkenfreunden war es erlaubt, beim Kulturbund ihren kleinformatigen Humanismus zu pflegen, sie korrespondierten, da sie nicht reisen durften, mit Briefmarkenfreunden in aller Welt.
    Habe übrigens unter Palmen und zwischen Kakteen gleichfalls gesammelt. Unser Posteingang prunkte ja internationalistisch mit Wertzeichen. Ging leider verloren, das Album. Doch was ging nicht verloren? Hand aufs Herz, Wuttke! Was zählt noch? Wie ich Ihnen kürzlich schrieb: Nichts bleibt. Am Ende stehen wir alle mit leeren Händen da.«
    Fonty hatte nicht nur Freundlich zum Briefpartner. Wir wissen, daß er bis Mitte der sechziger Jahre mit Bobrowski, eine Zeitlang mit Fühmann und anderen Schriftstellern, wahrscheinlich sogar mit Johnson vor und nach dessen Weggang korrespondiert hat. Briefe an Hermlin und Strittmatter soll es geben. Kant wird sich an Fontys schriftliche Quengeleien, solange der Sängerstreit Folgen hatte, gewiß nicht erinnern wollen. Sogar der Seghers oder dem Dramatiker Müller soll er sich mehrseitig mitgeteilt haben, und zwar mit dem Angebot, der einen oder anderen Feder den historischen Fall Katte aufzubereiten, weil die pädagogisch wirksame Abstrafung des auf der Flucht ertappten Kronprinzen Friedrich, der nicht zum Tode verurteilt, sondern verdammt wurde, seinen Freund unterm Richtschwert knien zu sehen, nach Deutung aus sozialistischer Sicht im Sinn von Brechts »Maßnahme« verlange, damit Preußens Tugenden endlich einen fortschrittlichen Widerhall fänden. Doch dieser und andere Briefwechsel, wie etwa der mit dem »Tallhover«Autor Schädlich, sind nicht belegt und nur zu vermuten. Wir vom Archiv bedauern solche Blindstellen, dürfen jedoch als gesichert festhalten: Freundlich und Fonty haben einander Briefe geschrieben, in denen sich alltäglicher Kleinkram mit Sorgen um das kulturelle Erbe mischte. Schon als Student hatte der Professor an dem Kulturbundreisenden Wuttke einen Narren gefressen. Über den Vater, der damals nur noch Ehrenämter bekleidete, hatten sie sich kennengelernt. Während Vater Freundlich als Abweichler galt und allenfalls unter dem Schutztitel »verdienter Antifaschist« geduldet wurde, durfte der Sohn sein Studium fortsetzen. Wie nebenbei machte er Parteikarriere und lehrte bereits ab Mitte der sechziger Jahre Rechtsphilosophie und Staatsrecht, zuerst als Dozent, dann als Professor in Jena, wohin ihm Fonty, der weder gänzlich in Ungnade fiel noch irgendeine Karriere machte, Brief nach Brief geschrieben hat: von unterwegs, auf Vortragsreise, doch auch als Aktenbote, sogenannte Paternoster-Episteln. Wir vermuten, daß Freundlich, dem nichts Exzentrisches fremd war, diese Belege personifizierter Unsterblichkeit genossen hat, indem er seinen Briefpartner als kurioses und zudem mobiles Denkmal begriff; Fonty hingegen schätzte die witzigen Aufschwünge und melancholischen Abschwünge des Professors, ein Auf und Ab, das zunahm, seitdem Freundlichs Karriere durch ein Parteiverfahren – die übliche Anklage: Subjektivismus und Abweichlertum – einen Knick bekommen hatte und schließlich mit Parteiausschluß endete; nur die Professur blieb dem Sohn des Antifaschisten. Zuletzt waren sie sich am 4. November auf dem Alexanderplatz begegnet, als Fonty seine große Rede hielt und mit Hilfe mehrerer Zeitsprünge vor einer Wiederholung der achtundvierziger Revolution und dem nachfolgenden Katzenjammer warnte. »Eine sanfte Revolution ist keine!« rief er. Aber die vieltausendköpfige Menge klatschte nur Beifall; niemand hörte auf ihn.
    Davon war auch in Neuendorf die Rede, wo man die Wanderer in Franz Freeses »Hotel am Meer« einkehren sah; rückblickend stellen wir fest: weder verschwitzt noch ermüdet, doch durstig, denn Freundlich bestellte sogleich Bier

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