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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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frisch vom Faß. Sie saßen im Vorgarten, den drei Linden beschatteten. Nur Radfahrer kamen zu zweit oder in Rudeln vorbei, dann eine vom Alter krumme Frau mit Henkelkorb und Kopftuch, die mühsam in Richtung der blendend weiß in Reihe stehenden Fischerkaten wie auf einem Bild unterwegs war, von dem Fonty sagte: »Solch ein Motiv kennt man von den Worpsweder Malern. Aber auch bei Liebermann kommt dergleichen vor, denken Sie an die Frau mit Ziege. Und eine seiner begabtesten Schülerinnen, die Malerin Büchsel, wurde nicht zuletzt durch Neuendorfer Szenen wie diese bekannt. Sehen Sie: Es sieht aus, als komme die Alte nicht vom Fleck.« Als das Bier auf dem Tisch stand, fragte Freundlich die Serviererin: »Was hat die Küche denn heute Gutes zu bieten?«
    »Jibt nur, was uff de Karte steht.«
»Und wo ist die Karte, bitte?«
»Kommt jleich.« Als sie sich, laut Speisekarte, für
    Bratheringe zu Petersilienkartoffeln entschieden, sagte die weißgerüschte Person, die noch immer jenen mürrischsolidarischen Ton pflegte, der den Arbeiter- und BauernStaat bestimmt hat: Jibt’s nich!« Also einigte man sich auf das, was es gab: Gekochten Dorsch zu Petersillenkartoffeln. Nachdem Fonty sich über den »Berliner Sprechanismus« ausgelassen und die hiesige Bedienung als »typische Mischung aus Gräfin, Soubrette und Biermamsell« zitiert hatte, sagte Freundlich, nun schon überm Essen: »Alle Berlinerinnen sind, wie diese Kellnerin, von Natur aus unzufrieden. Meine Frau Mama, zum Beispiel, die waschecht vom Wedding stammte, hätte in Mexiko, das ja für seine gute Küche berühmt ist, angesichts der köstlichsten Gerichte, etwa der Spezialität aus Puebla, ›Pollo con Mole‹, sicher gemäkelt und rumgemault: ›Dorsch in Senfsoße wäre mir lieber!‹, weshalb ihr auch Lindenbäume, wie diese alten Linden vor unserem freundlichen Gasthof, nahezu sprichwörtlich immer dann einfielen, wenn wir unter allerprächtigsten Palmen saßen, wie damals in Guadalajara oder als Gast bei dem Maler Diego Rivera, dem sie ›Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum‹ vorgesungen hat …« Und sogleich war Fonty mit Effi zur Stelle. die im pommerschen Kessin ständig ihr heimatliches HohenCremmen vor Augen hatte: »Den Park, die Sonnenuhr oder die Libellen, die beinahe regungslos über dem Teich standen … Dazu kam diese unglückliche Paarung mit Innstetten, einem Ehrenmann gewiß. aber auch einem Prinzipienreiter erster Ordnung … Ja, wäre nicht der Ehrengötze, so lebte Crampas noch … Und die arme Effi hätte … Nun, im Grunde neigen wir alle zu Vergleichen, bei denen das Fremde, ob Mexiko oder Kessin, sogar die einsamsten schottischen Seen, gemessen an unseren märkischen, schlecht abschneidet. Und ob unsere Mete in Schwerin zufriedener sein wird als auf dem Prenzlberg, ist noch nicht ausgemacht. Die Heirat allein wird’s nicht bringen.« Damit war das Gesprächsthema weit genug abgesteckt, um Freundlichs Mexiko und Fontys Sehnsucht nach schottischen Hochmooren, Effis unglückliche Ehe und Marthas Hochzeit einzubeziehen und so den frühen Nachmittag im Schatten der Linden zu verplaudern. Zwischendurch bot die Serviererin wiederholt Anlaß, die berüchtigte »Berliner Schnauze« zumindest redensartlich zu stopfen. Nahes und Fernes wurde durchgehechelt. Mal ging es um den wackligen Tabellenplatz des Fußballklubs Carl Zeiss Jena, als dessen bekennender Fan der Professor in Eifer geriet, mal bekam der eine, der andere Kanzler als Mogelant sein Fett ab: »Berühmtheit ist ein Zeitungsresultat!« Doch war die Politik bald wieder vom Tisch. Zwei Herren im wandernden Halbschatten, die ungern bei einer Sache blieben. Wir lassen sie dort sitzen, denn alles, was wir hätten mithören können, steht in einem Brief an Martha Grundmann, geborene Wuttke.
    »Der Sandweg nach Neuendorf durch die Heide war der Frieden und die Unschuld selbst; doch habe ich meine gestrige Fußreise nicht solo hinter mich gebracht, vielmehr bei alles verrührendem und mitunter geistreichem Geplauder, denn neben mir war jemand gut zu Fuß, der nicht nur so heißt, sondern bewiesenermaßen so ist: Eckhard Freundlich, mir über langjährigen Briefwechsel vertraut, wie niemand sonst, ausgenommen Friedlaender, auf den gleichfalls die Kurzfassung ›Man versteht sich‹ paßt. Heutzutage spricht man von ›einer Wellenlänge‹; doch im Grunde liegt es wohl daran, daß uns das Geistreiche am leichtesten aus der Feder fließt oder – wie gestern – vom Munde

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