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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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hier raus!‹ Da hat er den Stinker weggesteckt und sich schnell entschuldigt. ›Mein kleines Laster‹, hat er geflüstert. ›Wie konnt ich nur so gedankenlos sein.‹ Mein Wuttke aber kein einziges Wörtchen. Nur wenn wieder mal links oder rechts ein Autowrack lag, umgekippt oder ausgebrannt völlig, hat er gesagt: ›Das kommt von der Raserei. Müssen unbedingt alles dem Westen nachmachen. Dabei sind wir früh genug zu spät dran.‹ Bekam aber keine Antwort. Der saß wien Affe hinters Steuer geklemmt. War sauer, weil er nun ohne Zigarre … Aber zu schnell is er nich … Wie hätt er auch können mit nein Trabi. Andauernd wurden wir überholt von Mercedesse und andere Flitzer. Nee, nen bedrückten Eindruck hat mein Wuttke kein bißchen gemacht, aber reden, wie er sonst redet, konnt er nich. War irgendwie ne miese Stimmung drinnen, och wenn draußen Schönwetter war. Ich hab mir gesagt: Der hat ihn bestimmt in die Mangel genommen, weiß bloß nich, womit. Doch nich etwa mit unserm Teddy, weil der in Bonn sitzt und sowas wien Geheimnisträger is? Oder noch immer mittem Kulturbund, weil mein Wuttke da wirklich manchmal schlimme Sachen gesagt hat? Nee, nich direkt gegen die führenden Genossen, sondern um drei Ecken rum, wie er immer redet. Bad Saarow fiel mir ein, wo mal das Ferienheim vom Kulturbund, aber och so ne Art Hochschule gewesen is und wo mein Wuttke über diese Lene Nimptsch lauter unmögliche Sachen gesagt hat. Die heißt so wegen Verehrung von dem Dichter Lenau. Jedenfalls gab’s damals nen Lenau-Club, in dem sein Einundalles Mitglied gewesen ist, bevor er in diesen Herwegh-Verein reinging, der verboten war. Weshalb alle bespitzelt wurden, nich nur der Herwegh, der rechtzeitig abgehauen is. Davon hat mein Wuttke geredet und von den vielen Apotheken in Leipzig und Dresden. Und daß die Spitzelei nie aufhört, weil sie nich aufhören kann. Und daß die Spitzel unsterblich sind wie die Dichter, die sie bespitzeln. Daß aber manchmal auch Dichter richtige Spitzel sind, die deshalb doppelt unsterblich werden. Und außerdem hat er vor Publikum gesagt, daß dieser Oberspitzel, der vor hundertfuffzig Jahren den Herwegh und seinen Verein bespitzelt hat, immer noch rumläuft und rumspitzelt, natürlich mit nein ausgetauschten Namen, was aber trotzdem ein Beweis für Unsterblichkeit is. Da gab’s schon Geflüster im Saal. Ein paar haben gelacht. Aber dann hat mein Wuttke in Bad Saarow, wo wir, als Martha noch klein war, gern Ferien gemacht haben, paar Dinger losgelassen, die nich im Manuskript standen – was ich ihm ja abgetippt hatte vorher –, daß nämlich der Spitzel von anno dazumal hier im Saal irgendwo die Ohren spitzt und sich alles merkt, wie er sich früher alles gemerkt hat. ›Der vergißt nichts, der kann nichts vergessen!‹ hat er gesagt. Wann das war? Mitte Sechziger, als es mit der Kultur mal wieder eng wurde. Nachem Mauerbau jedenfalls, weil unsere Jungs schon drüben … Und Georg fertig als Pilot … Nur Friedel war noch inner Buchhandelslehre … Jedenfalls hat man das meinem Wuttke krummgenommen. Vorgeladen haben sie ihn paarmal. Hat überhaupt nich genutzt, daß er sich rausreden gewollt hat mit ›Der Klassenfeind schläft nich!‹ und ›Immer auf der Hut sein vor Westagenten‹. Hat alles nur schlimmer gemacht. Für uns keine Ferien mehr in Bad Saarow. Und reden durft er da och erst mal nich, bis es dann wieder ging. Aber vergessen haben die nix. Nee, die vergessen nie was. Deshalb glaub ich auch, daß dieser Stoppelkopp, wie unsere Martha den nennt, meinen Wuttke mal wieder unter Druck gesetzt hat, denn freiwillig wär er nie in den Trabi rein, wo er sich doch auf die Eisenbahn mit Freundlichs im Abteil so gefreut hat … Ich ja weniger, weil … Na, weil die mir irgendwie fremd sind … Und unsere Martha sagt och immer … Aber das paßt hier nich hin. Denn eigentlich sind die ganz nett gewesen, als mir das mit dem Fuß passiert ist, weil ich beim Raufklettern, als ich zum Leuchtturm wollt, unter son tückischen Wurzelstrunk … Also mit Frau Freundlich, das geht. Und die Mädels sind och ganz nett. Nur mit dem Professor kann ich nich. Konnt ich noch nie. Wenn der Mechiko und nich wie unsereins Mexiko sagt, krieg ich das Kribbeln. Aber mein Wuttke hätt sich mit seinem ›Brieffreund‹, wie er den nennt, noch stundenlang ausplaudern gewollt. ›Reichsbahn ist besser als Autobahn!‹ hat er gesagt. Jedenfalls sind wir gut nach Berlin rein, ohne daß irgendwas passiert ist. Bis vor

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