Ein weites Feld
die Haustür hat er uns mit seinem Trabi – irgendwie gelblich ist der – und hat dann, als wir schon ›Vielen Dank fürs Mitnehmen‹ oder sowas gesagt hatten, ganz ernst zu meinem Wuttke gesagt: ›Der Fall Lene Nimptsch bleibt aktuell!‹ Und dann hat er noch so paar Zweideutigkeiten über Frankreich losgelassen – ›Lyon und die Folgen!‹ –, wo mein Wuttke ja als Soldat gewesen is, aber darüber nich gern geredet hat. Och als der Stoppelkopp abgezischt war – kein Sterbenswörtchen. Dabei kann ich mir denken, daß da in Frankreich irgendwas schiefgegangen is, weil seine Feldpostbriefe damals irgendwie komisch … Erst als wir oben waren, drei Treppen hoch, und das mit Koffern und Reisetasche, und inner Post Briefe von unserer Martha drin steckten, einer aus Kopenhagen und einer von dieser dänischen Insel, genau, Mon heißt die, da war mein Wuttke wie ausgetauscht. Hat gelacht und Witze gerissen über Flitterwochen und so. Dabei hat Martha nich mal was Besonders geschrieben, nur daß das Wetter schön is und sich ihr Grundmann zuviel Arbeit, lauter Papierkram, mitgenommen hat und daß sie manchmal richtig Sehnsucht kriegt nach uns und unserer Gegend hier. Ach ja, und wie teuer Dänemark is, besonders Kopenhagen, hat sie geschrieben. Aber mein Wuttke war wie aussein Häuschen. Er hängt ja an Martha besonders und sieht wunder was in ihr, während ich … Aber das paßt hier nich hin, weil ich mir Sorgen mach … Wär ja schön, wenn sie glücklich … Genau. Nur das is wichtig. Jedenfalls ist mein Wuttke in der Küche rumgesprungen und hat immerzu gerufen: ›Jetzt hätt ich Lust zu rudern! Von mir aus im Kreis rudern. Hauptsache rudern! Haste nich auch Lust, Emilie? Wär doch was. Wir zwei beide in einem Boot. Im Tiergarten kann man welche mieten. Wie früher in Stralau. Nein, kein wildes Geschaukel. Mußt keine Angst haben. Ganz ruhig treiben lassen …‹ Und wie er nich aufhören wollt mit dem Gerede, da hat es bei mir getickt. Denn in seine Feldpostbriefe, die er zum Schluß aus Frankreich geschickt hat, da stand och immerzu was von Rudern drin, und wie schön das is, rudern, ein Gedicht sogar … Nana, hab ich mir gedacht, da is doch was faul, da steckt mehr hinter …«
Emmi Wuttke war zu keiner gemeinsamen Ruderpartie zu bewegen. Und Fonty konnte erst am Nachmittag des folgenden Tages seiner Lust nachgehen. Vorher ließ er sich im Haus der Ministerien den Genesungsurlaub bestätigen, eine Menge Papierkram. Im Personalbüro hieß es: »Das geht klar, Fonty. Warum sind Se nich länger jeblieben? Von uns aus können Se Pause machen, solang Se lustig sind. Hier is sowieso nischt mehr los. Nur Auf und Abräumen, Hausputz, besenrein, verstehn Se? Wir werden bloß noch bezahlt, damit wir uns überflüssig machen. Aber schaun Se mal vorbei, wenn Se auffem Damm sind wieder. Zu tun jibt’s jenug. Na, von wejen Einigvaterland muß alles schnell abjewickelt sein. Wird aber noch dauern, bestimmt. Jehn Se spazieren, Fonty. Keene Bange, wir halten Se auf Jehaltsliste, bis nischt mehr übrig is, und denn kommt wat Neues. Muß ja. Könn se doch nich leer stehen lassen den Kasten …« Soviel Aussicht auf Zukunft beruhigte. Als wollte er in Übung bleiben, fuhr Fonty einige Male mit dem Paternoster rauf und runter. Er wurde gegrüßt, grüßte zurück, hatte von Stockwerk zu Stockwerk den einen, den anderen Plausch: »Ein richtiger Glückspilz sind Se. Ferien auf Hiddensee! Davon hat unsereins immer nur träumen jekonnt. War ja meistens von Bonzen belegt. Was? In Neuendorf waren Se? Im Vorjarten von Franz Freeses Hotel am Meer. Jekochten Dorsch gab’s. Und? Jibt’s die Linden noch?«
Plötzlich oder weil ihn wieder die Lust aufs Rudern ankam, gab Fonty das Paternosterfahren auf. Oder sind wir es, die ihn voller Ungeduld unterwegs und endlich auf dem Wasser sehen wollen? Es stimmt, im Freien ist er uns eher zugänglich als im geschlossenen Gebäude. Ganz gegenwärtig sehen wir ihn, wie er mit jugendlichem Schritt das Portal des Kolossalbaus hinter sich läßt, in die Leipziger Straße einbiegt, mit geschultertem Wanderstock das zukünftige Bauland Potsdamer Platz überquert und unbehindert im Westen ist. Wir sehen, wie er verkehrssicher die vielbefahrene Entlastungsstraße für Sekunden zum Stillstand bringt, hören, wie er zackige, bahnbrechende Marschmusik, etwas wie »Preußens Gloria«, vor sich hin pfeift, gutgelaunt, denn nun nähert er sich dem Tiergarten, seinem seit jeher bevorzugten Gelände für
Weitere Kostenlose Bücher