Ein weites Feld
Spaziergänge, sei es zur Amazone nahe dem Goldfischteich, sei es zur Rousseau-Insel und seiner alteingesessenen Lieblingsbank oder wie heute: über die Hofjägerallee hinweg, vorbei an den Bronzen Hasenhetze und Fuchsjagd, auf dem Großen Weg, nun mit schwingendem, alle zwei Schritte auf stoßendem Wanderstock, bis zum Neuen See hin, dessen Ausläufer vom Landwehrkanal, an den der Zoologische Garten grenzt, gespeist wird, und zwar durch das Wasserpumpwerk am Lützowufer. Nun biegt er zum Café am See ein, doch nicht, um unter Kastanien auf der Terrasse zu sitzen.
Wo er hinwollte, klotzte noch lange nach Kriegsende, bis er gesprengt wurde, der große Flakbunker, in dessen Betonverliesen Menschen und gestapelte Kunstwerke überlebten. Schon 1840 lag der Neue See im dritten Entwurf der gesamten Naturgartenanlage als künstlicher See vor. Lenné hatte geraten, den sumpfigen Elsbruch nicht kostspielig auszutrocknen, sondern ein Gewässer anzulegen, das später mit dem neuen Kanal verbunden sein und zu Kahnfahrten einladen sollte. Über dreißigtausend Taler kostete die Anlage samt Brücken; viel Geld für einen sparsamen, sogar als geizig verrufenen König. Und dort, wo ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein Herr Alexander Kähne verlieh, lagen, vom linken Terrassenrand zugänglich, an langem Steg gut zwei Dutzend Plastikboote gereiht, deren Ruderbänke sowie der Bodenrost allerdings hölzern waren, gleichfalls die Ruder. Für ein vormals spottbilliges Vergnügen zahlt man heute zweiundzwanzig Mark die Stunde; als Fonty jedoch beim Bootsverleih nach dem Mietpreis fragte, wurde ihm angesichts seiner knittrigen Aufmachung leichte Jacke, Leinenhose, Sommerhut und Spazierstock – geantwortet: »Fürn Zehner biste dabei, Opa!«
Er mußte als Pfand seinen Personalausweis hinterlegen. Nach weiteren Fragen, die in Berliner Manier witzig zu sein hatten -As denn Oma nich mit vonner Partie? Und wo sind die lieben Enkelchen abjeblieben?« –, sprang er mit kleinem Hüpfer ins Boot. verstaute Jacke und Stock auf der aus Kunststoff gepreßten Heckbank. setzte sich auf die hölzerne Ruderbank und tauchte, vom Bootsvermieter mit dem Ruf »Schiff ahoi!« angestoßen, zuerst den einen, dann den anderen in den Dollen liegenden Riemen ein. So gewann er nach wenigen Schlägen vom Ufer Abstand. Einer der Wasserarme reichte bis zum Terrassencafé und führte zur Seemitte und deren Inseln, die aber, wie ein Schild am Bootssteg lehrte, nicht betreten werden durften: »Vogelschutzgebiet!« Fonty war ein geübter Ruderer. Gleichmäßig zog er durch und tauchte die Blätter nie zu tief, nie zu flach ein. Als Junge schon war er auf dem Ruppiner See sozusagen zu Hause gewesen. Später hat er auf dem verschilften Dianasee gerudert, wenn er seinen Vater besuchte; das Villengrundstück Ecke Hasensprung, Königsallee neigte sich bis zum Seeufer. Für weite Ruderpartien reichte es dort nicht, doch half er beim Auslegen von Aalreusen und mußte mit anhören, wenn Max Wuttke seiner wortkargen Freundin zum wiederholten Mal das sozialdemokratische Genossenschaftswesen als Weltmodell erklärte. Fonty genoß es, auf dem Neuen See, wenn auch in einem Kunststoffboot, allein zu rudern; doch waren all seine Ruderpartien, zu denen Kahnfahrten während der Kriegsjahre, sei es auf polnischen Flußläufen und Seen, sei es im Flachwasser dänischer Inselbuchten oder auf Frankreichs stillen Gewässern gehörten, literarisch besetzt, weil ihnen romanhafte Erlebnisse vorgeschrieben standen: etwa jene Bootspartie auf der Spree bei Stralau, zu der sich, als Vorgeschichte zu »Irrungen, Wirrungen«, Lene Nimptsch überreden ließ. »Weil Lina Gansauge gern Kahn fahren wollte« und der halbwüchsige Rudolf, »der ein Bruder von Lina ist«, sich ans Steuer setzte. Dem folgte, wie wir wissen, die Geschichte mit dem Dampfschiff, das von Treptow kam und Wellen machte. Wir erinnern daran, daß Rudolf aus Angst und Dusseligkeit die Gewalt übers Steuer verlor, »so daß wir uns beständig im Kreis drehten«. Worauf Lene und Lina schrien, denn das Dampfschiff kam immer näher auf sie zu. Und sicherlich »wären wir überfahren worden, wenn nicht in eben diesem Augenblicke das andere Boot mit den zwei Herren sich unserer Not erbarmt hätte …« Mit dem Bootshaken herangezogen und festgemacht, wurden sie aus dem Strudel herausgerudert; und »nur einmal war es noch, als ob die große, vom Dampfschiff her auf uns zukommende Welle uns umwerfen wollte …« So kam es dazu, daß
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