Ein weites Feld
Briefe an Wolfsohn. Mit Richard Kersting hinterm Ladentisch. Und eines Tages kam das junge Ding, die Gärtnerstochter aus der Neustadt, und wollte Lebertran für ihr Brüderchen … Ach, Lena Strehlenow … Alles im Stillverborgenen … Buchten im Schilf … Küsse, so heiß … Doch jede Heimlichkeit hat dieser Spürhund, dessen Schnüffelnase vom Leipziger Herwegh-Club bis ins liebliche Dresden auf Spur blieb … Alles hat er herausgespitzelt, sogar ihr Muttermal unterm Herzen und daß ihr aschblondes Haar eher dünn gewesen ist. Ach, Lena! Ihre schmalen, dennoch praktischen, vom Umtopfen, Unkrautverziehen immer rissigen Hände. Sie sang gern, wenn auch mit kleiner Stimme nur, sobald uns auf den Elbwiesen oder beim Rudern nach Freiheit oder zum Singen war. Ach, was ist aus den radikalen Freunden geworden? In Leipzig waren wir sechs bis acht Mann schwach. Zwei -Blum und Jellinek – wurden später in Wien füsiliert. Zwei gingen in Amerika vor die Hunde. Zwei weitere wurden sächsische Philister. Nur Wolfsohn blieb. Und Max Müller, der Sohn des Dichters der Müllerlieder, kam in England zu Ruhm. War kundig in Sanskrit, gab der Queen Unterricht, beriet das Empire in allem, was Indien betraf, weshalb noch heute dort Kulturinstitute, die anderswo nach Goethe benannt sind, Max Mueller Bhavan heißen. Jedenfalls wurde er was, als einziger, wenn man vom sprichwörtlichen ›Erschossen wie Robert Blum‹ und vom Unsterblichen absieht, der sich zu drehen, zu wenden wußte und all die freiheitsbesoffenen Freunde überlebt hat, mehr schlecht als recht. Mit ihm überwinterte die arme Effi, natürlich der Alte, der ungern mit Vornamen Dubslav hieß. Immer wieder wuchsen wie Spitzwegerich die Treibels nach. Unverwüstlich Mathilde Möhring. Mit Schach hat die Furcht vorm Lächerlichsein überdauert. Ein paar Balladen, nicht totzukriegen. Aber auch Lene blieb, dieser trotz Aussparung jeglichen Bettgeflüsters volltönende Nachhall eines kurzen, nein, Mal um Mal verlängerten Dresdner Glücks, das über sechs oder sieben Jahre anhielt, jedenfalls wiederholt in Blüte stand, sogar die Verlobung mit Emilie wie nebensächlich hinnahm, sich dabei – und sei es aus Angst vorm Ende – steigerte, so daß dem Elbwiesenglück zwei heimlich gehaltene Kinder zuzurechnen sind, von denen nur die erstgeborene Mathilde alle Krankheiten überlebte, während Ernestine bald, nach nur zwei Jahren Alimente, wegstarb: Diphterie … Doch hat sich die nachweisliche Mutter, jadoch, hieß Magdalena Strehlenow und war achtzehn, als ich sie nahm, gut vierzig Jahre später und noch zu Lebzeiten – als alte Frau wurde sie von ihrer tüchtigen Tochter Mathilde im westpreußischen Konitz umsorgt – verjüngen und durch literarische Kur als Lene Nimptsch erneuern können; denn das Anekdötchen von des Akademiekastellans Töchterlein, das übrigens schwarzhaarig war, ist barer Unsinn, den die Familie, leider auch Mete – doch die Söhne voran! –, verbreitet hat. Eine Zwecklüge, der mein Leibundmagenspitzel natürlich nicht aufsaß: Hat alles herausklamüsert, die namentliche Anspielung, die bleichsüchtigen Mondscheinverse, denn immer hatten wir Lenau im Boot, der eigentlich Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau hieß, nach Amerika ging, zurückkehrte, an seiner Zeit verzweifelte und verrückt wurde, doch seine Verse unsterblich, so daß wir beim Rudern die Schilf- und später die Waldlieder … Ja, wir ruderten auf stillen, fast stehenden Gewässern. Manchmal ließen wir den Kahn treiben. Mag sein, daß schon damals eine literarische Tochter gezeugt wurde, die unter allzeit gültigem Titel zur Welt kam. Ein eher schmaler Roman, der mir, noch während ›Cécile‹ und ›Stine‹ in Arbeit waren oder in Schubladen ruhten, von der Hand ging, und zwar die ersten acht Kapitel in Hankels Ablage, wo das verflixte Rudern seinen Fortgang nahm, denn wie auf der Elbe so auf der Spree … Doch erst drei Jahre später wurden, bald nach ›Cécile‹, die ›Irrungen, Wirkungen‹ vorabgedruckt, und zwar von Ende Juni bis Ende August in der Vossin, dachte ich doch einerseits, nur das bessere Publikum dieser sich liberal schimpfenden Zeitung könne das Berlinische goutieren; andererseits sagte ich mir: Gott, wer liest Novellen in dieser Hitze? War dann auch glatter Durchfall. Bürger und Adel einmütig in Heuchelei. Als hätte ich die Treibels und ihre Bagage vorweggenommen. Sogar ein Mitinhaber der Vossin entrüstete sich: ›Wird denn die gräßliche
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