Ein weites Feld
Hurengeschichte nicht bald aufhören …‹ Niedergemacht hat das Philisterpack meine Lene. Diese Prinzipienreiter! Diese Nachmittagsprediger! Dabei habe ich, anders als Zola, der mir in jener Zeit Lektüre zwischen Grausen und Bewunderung gewesen ist, alles Häßliche, jeden Auswurf der Leidenschaft, sogar die soziale Misere ausgespart und fast zu ängstlich gemieden, weil … Erst als das Buch vorlag, schrieben Schlenther und Brahm spät, viel zu spät mit Respekt, so daß meine Lene, wenn sie schon keinen Gewinn brachte, doch noch zu einem gewissen Achtungserfolg, mehr nicht … Und nun kommt dieser Spitzel von Anbeginn, packt aus, entleert ein verjährtes Dossier, sagt: ›Nach Aktenlage handelt es sich …‹ Flüstert: ›Nach Informantenbericht sah man beide wiederholt, bis in den September hinein, auf Nebenarmen der Elbe in ruhigem Wasser rudern, wobei Gedichte laut wurden, die aber nicht revolutionär gereimt waren und mit keiner Zeile dem Objekt Herwegh zugeordnet werden konnten. Eher kam eine gewisse bürgerliche Dekadenz zum Ausdruck …‹ Und dieser Spitzel will nun mit mir in einem Boot … Will freiwillig aufs Wasser … Wüßte gern, ob er schwimmen kann …«
So erinnerungs- und womöglich rachsüchtig wird sich Fonty – trotz Emmis Ermahnungen – auf der Teppichbrücke erschöpft und auf die am nächsten Morgen drohende Ruderpartie vorbereitet haben. Doch es kam anders. Seine Fußreise war in verkehrte Richtung anstrengend gewesen. Wieder einmal war ihm sein Tagundnachtschatten voraus.
Im Café am See kaum Gäste zu so früher Stunde, doch er, der Pünktliche, wartete schon am Bootssteg und hatte vorweg bezahlt, weil er keinen Personalausweis hinterlegen wollte. Buntscheckig sah er aus, wie ein Tourist. Fonty half ihm in den schunkelnden Kahn. Und Hoftaller, der sonst zu allem fähig war, sagte: »Bedaure, nicht rudern zu können. Sie sind dran, Wuttke. Müssen sich in die Riemen legen.
Aber Vorsicht, bin Nichtschwimmer.«
Der eine am Heck, der andere auf der Ruderbank. Sie saßen einander gegenüber, und dennoch berührten sich nie
ihre Knie. Auf schmaler Zufahrt zum See hielt Fonty Kurs. Noch immer Altweibersommer, schräg einfallendes Licht. Im Ufergebüsch, wo sich der Frühtau länger hielt, glänzten weitflächig Spinnennetze, jedes für sich gespannt, auf jeweils das eigene Zentrum zu und doch miteinander verwoben, als könnte der Faden nie ausgehen, als wollte der taunaß demonstrierte Spinnenfleiß dem Ruderer und dessen Fahrgast etwas sagen: Seht, wieviel rastlose Arbeit! Bestaunt unseren kunstvollen Sachverstand, unsere nützliche Schönheit. Und nie geben wir auf. Stets suchen wir das Loch im System. Immer gilt es, eine Lücke zu schließen. Auf uns ist Verlaß. Und doch hängt uns übler Ruf an. Mit Schimpf werden wir entlohnt. Einzig der Beute, die uns ins Netz geht, ist Anteilnahme gewiß. Sogar der sonst geschmähten Schmeißfliege wird in gereimten Versen gedacht … Wir mutmaßen nicht, wir wissen: Bald nach der Ruderpartie hat Fonty einen Vierzeiler gekritzelt und in einem Brief an Professor Freundlich, dem es in Jena an den Kragen ging, mit Tintenschrift ins reine gebracht: So sehen wir in einem Netz verstrickt das Opfer und den Täter; ob so viel Nähe sie verschwistert, gar beglückt, stellt sich als Frage ohne Antwort später.
Vielleicht hat Hoftaller dieser zu nahe glänzenden Metapher wegen den Ruderer gebeten, das Ufer zu meiden und – sobald sich der Wasserarm öffnete – die Mitte des Sees anzusteuern: »Dort können wir uns ein wenig treiben lassen. Toll, Wuttke, wie Sie das machen. Sind geübt. Na, Kunststück! Haben ja schon als Junge auf dem Ruppiner See und dann immer wieder …« Nach kräftigen Schlägen und raumgreifendem Durchziehen der Riemen holte Fonty die Ruder ein, ließ sie abtropfen und sagte, als sie genug Abstand zwischen der Vogelschutzinsel und dem Seeufer hatten: »Zur Sache! Beginnen wir mit dem Verhör. Wo waren wir letztmalig stehengeblieben? Dresden, Sommer zweiundvierzig? Oder soll der Leipziger Club noch einmal operativ eingekreist, observiert, bespitzelt, abgeschöpft, isoliert, zugeführt, ausgehoben werden? Wolfsohn und Müller gingen euch durch die Lappen, aber Blum an die Wand gestellt und gleichfalls Jellinek, ein armes Studentlein. Ist die Spinne noch immer unzufrieden? Nun denn, Tallhover, saugen Sie, saugen Sie mich aus. Bin glücklich, meinen letzten Saft hergeben zu dürfen.« Hoftaller ließ aus dem sacht treibenden Boot
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