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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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die linke Hand ins Wasser gleiten, so sichtlich genoß er die Kahnfahrt: »Aber mein lieber Freund! Wer wird denn alles so persönlich nehmen. Leipzig, Dresden! Ne Bagatelle! Dieser Vorgang ist längst abgeschlossen und allenfalls von literarhistorischem Interesse. Man könnte damit ne Archivlücke füllen, mehr nicht. Aber ganz anders verhält es sich mit den Ruderpartien eines Gefreiten, dann Obergefreiten der Luftwaffe namens Theo Wuttke, der sich später, viel später Fonty, von jedermann Fonty nennen ließ, weshalb wir ihn zu Kulturbundzeiten unter diesem Decknamen als Informant geführt haben. Und dieser Soldat ruderte nicht auf Elbwasser, wo es ruhig floß, sondern anfangs auf der zu stark strömenden Rhône, wobei er die stolz und abweisend aufragende Stadt Lyon im Rücken hatte, später aber in ner seenreichen Gegend nordöstlich der Stadt. Und wie ich bereits andeutete, saß ihm im Frühling des Kriegsjahres vierundvierzig keine Gärtnerstochter, wohl aber die Tochter des Gastwirts Marcel Blondin gegenüber. Gleich mir ließ sie die Hand im Wasser gleiten, sichtlich beglückt. Man ruderte häufig. Dombes heißt die Gegend, in der diese fischreiche Seenplatte liegt. Manchmal war der Sohn des Gastwirts, ein gewisser Jean-Philippe, mit von der Partie, doch nicht als Anstandsperson, sondern … Lassen wir das. Plaudern wir lieber über Madeleine, die, nebenbei gesagt, vom Scheitel weg aschblond war. Was ist denn los, Wuttke! Hören Sie auf mit dem Geschaukel! Waren doch schon immer auf Aschblond versessen. Aufhören! Sagte schon, bin Nichtschwimmer. Und wenn dieses Geschaukel … Will nicht als Wasserleiche …« Zwar gab Fonty seinen wilden Protest auf, doch suchte er mit angstgetriebenen Ruderschlägen das Ufer, die überhängenden Trauerweiden, die Spinnennetze im Ufergebüsch und rief zwischen Schlag und Schlag: »Nichts will ich davon hören … Tausendmal durchgekaut diese Geschichte … Schon auf Hiddensee sagte ich … Jadoch, ein kurzes Techtelmechtel nur … War damals üblich, besonders in der Etappe … Im Grunde so süß wie harmlos … Das bißchen Rudern … Paar Ausflüge nach Chalamont, wo man bei Fischern ein Boot mieten konnte … Außerdem kam uns die Invasion dazwischen … Und im August dann der Aufstand in Lyon … Zu spät für Madeleines Bruder … Und ich mußte mit Marschbefehl … Überall Rückzug … Geriet in Gefangenschaft … Später Lager Bad Kreuznach …« Als Fonty, wie auf der Suche nach Zuflucht, das Boot unter dem hängenden Gezweig einer Trauerweide, die uns nahe stand, parken wollte, wurde Hoftaller streng, indem er mit bekannter Floskel drohte: »Wir können auch anders!« Dann befahl er, das Ufer zu meiden. Was er zu sagen habe, sei nicht für Lauscher, die es an jedem Ufer gebe, bestimmt, sondern einzig für den ehemaligen Obergefreiten Wuttke: »Wir wollen uns doch nicht ne Affäre einhandeln, oder?« Wieder in der Mitte des Sees, zog Fonty die Ruder ein, ließ sie abtropfen, setzte den Hut ab, legte ihn neben sich, wischte die Stirn: ›Jadoch. Sie hieß Madeleine Blondin. Ihr Bruder, der Elektromechaniker lernte, muß zur Résistance gehört haben. Wurde jedenfalls verhaftet. Nein, nicht von unseren Leuten, die örtliche Gendarmerie führte ihn ab. War wie seine Schwester an Literatur interessiert. Habe den beiden vorgelesen, jadoch, im Boot. Stimmt, aus ›Irrungen, Wirrungen‹. Aber auch Raabe: ›Schwarze Galeere‹. War eine schöne, doch nur kurze Zeit. Ab und zu auf einem anderen See. Zuletzt nahe Bourg-en-Bresse. Nach wenigen Monaten schon mußte Lyon geräumt werden. Außerdem wurde ich nach Berlin beordert, geriet aber, wie gesagt, in Gefangenschaft. Ende der Dienstreise. Alles aus und vorbei. Nun ja, Erinnerungen, Momente des Glücks, doch davon bitte ich schweigen zu dürfen.« Hoftaller nahm sich Zeit, als er umständlich bis feierlich eine Zigarre aus seinem kubanischen Vorrat anzündete. Im treibenden Boot sah er dem Rauch nach: »Na gut, Wuttke. Oder soll ich Sie lieber Fonty nennen, weil man einen gewissen Theo Wuttke vor bald einem Jahr, am 4. November auf dem Alex – ›Fonty soll reden!‹ –, so gerufen hat? War übrigens ne gute Rede: wirr und passend zum Anlaß. Also, mein lieber Fonty, ich gebe nach. Beenden wir die Ruderpartie. Verschweigen wir vorläufig Ihre illegalen Ausflüge in die Cevennen, erwähnen wir die Kontakte zur Résistance nur andeutungsweise, tippen wir, von mir aus, Ihre Glücksmomente nur kurz an, doch muß, mit der

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