Ein weites Feld
Bitte um Verständnis, darauf hingewiesen werden, daß Ihre kurze Liebelei, rein menschlich gesehen, folgenreich gewesen ist. Weder konnte die Invasion noch der eilige Rückzug, geschweige denn Ihre Gefangenschaft ein Zeugnis aus der Welt schaffen, das auszutragen ne gewisse Zeit brauchte; jedenfalls kam kurz vor Kriegsende ein Töchterchen ans Licht, das von der Mutter den schönen Namen Cécile erhielt. Nein, diesmal keine Mathilde. Aber ich sehe, Sie bedürfen der Schonung. Legen wir ne Pause ein, Wuttke. Lassen wir uns ein wenig treiben. Genießen wir den September. Keine schönere Jahreszeit als der Spätsommer oder Frühherbst, wie man’s nimmt. Ne fabelhafte Idee, dieses Rudern und Plaudern beim Rudern über Gott und die Welt. Übrigens ein gesundes Kind, die kleine Cécile, wuchs prächtig heran, wenngleich die Mutter … wurde öffentlich kahlgeschoren … Und durch die Straßen … War ne Schande, Fonty … Aber ich will Sie doch nicht betrüben, mein Freund …« Danach nur noch die Geräusche des moosgrünen Wassers. Von anderen Booten kam in Salven verzerrtes Gelächter. Sobald ein Lüftchen wehte, roch es nach Schaschlik. Auf der Liegewiese hatte ein Paar oder ein Vereinzelter sein Transistorradio flächendeckend auf laut gestellt. Dazu schwiegen die beiden im Kahn. Bei nun höher stehender Sonne setzte Fonty wieder den Hut auf. Sein verschattetes Gesicht gab nichts her. Und während Zeit verging, sah Hoftaller der wachsenden Asche seiner Kubanischen zu, als wäre der Asche Bedeutsames abzulesen, etwas Chiffriertes oder ein Losungswort.
Doch kaum hielt er die Rechte mit der Zigarre über den Bordrand, fiel als Beweis sorgsam gleichmäßigen Rauchens, sei es durch Überständigkeit, sei es durch leichtes Abklopfen, die Chiffre im Stück über Bord, daß es zischte. Nach kleinem Seufzer sagte Hoftaller: »Ach, Deutschland«, um unvermittelt von Entschluß zu sein: »Tauschen wir mal die Plätze, Wuttke. Jetzt will ich rudern. Sie dürfen sich ausruhen und mir ne Weile zuhören. Herrgott, was sind das für Zeiten! Tag für Tag wird Geschichte gemacht. In gut ner Woche ist es soweit, dann ist das Vaterland vereint. Wird bestimmt schiefgehn!« Und schon stand er, woraufhin Fonty die Ruder einzog und sich gleichfalls erhob.
Wir glauben, das Zischen der Asche gehört zu haben. Danach ging es stumm zu. Von der Liegewiese oder von schattigen Bänken, aber auch von anderen Kähnen aus gesehen, bot sich ein beängstigendes Bild: der Platzwechsel zweier alter Männer in einem schwankenden Boot. Noch warteten sie, als wäre ein Kommando fällig gewesen. Sie standen sich gegenüber, hochgewachsen und hager der eine, gedrungen kurzbeinig der andere, beide mit hängenden Armen wie in abwartender Haltung, ganz statuarisch, bis das Boot ruhig lag. »Nun los«, flüsterte ich. Vom Ufer aus gesehen, vollzog sich der Platzwechsel ohne Worte; und wir verzichten darauf, dieser Pantomime nachträglich einen Text zu unterlegen, obgleich vieles noch ungesagt war. Zum Beispiel hätte Hoftaller, nachdem er sich abermals – und nun ein wenig ängstlich – als Nichtschwimmer erklärt hatte, sein Geheimkästchen öffnen und in Erinnerung bringen können, daß es bei mehreren Ruderpartien auf den Seen nordöstlich Lyon gleichfalls zum Platzwechsel gekommen sei, und Fonty hätte zugeben müssen, daß er die Ruderbank verlassen habe, um für den Ruderer Jean-Philippe und dessen Schwester Madeleine, die an der Bugspitze saß, vom Heck aus einem Tonbandgerät, erbeutet aus Wehrmachtsbeständen, mit heller Stimme zuzusprechen. Das alles auf stillem Wasser. Kaum Nebengeräusche. Aber dieses Geheimnis wurde erst später ausgeplaudert, als Fonty einen Orden bekam. Jedenfalls standen beide einander stumm gegenüber. Kein auslösendes Kommando wurde laut; es sei denn, mein Flüstern hätte ihnen geholfen: Nun begannen sie gleichzeitig ihren Standort zu verändern. Mit kleinen Rutschern, die allerdings vom Ufer her nur zu vermuten waren, bewegten sie sich Schuhbreite um Schuhbreite, zuerst freihändig, mit immer noch hängenden Armen, dann im Verbund, indem sie einander ergriffen, weil das Boot zu schaukeln begann und sie mit dem Boot ins Schwanken gerieten. Fontys Hände ruhten zupackend auf Hoftallers Schultern, und der klammerte sich an Fontys Hüften. Was man jetzt vom Ufer aus hörte, waren Anweisungen, die Hoftaller erhielt und denen er folgte, weil sein Objekt beim Platzwechsel in einem Ruderboot erfahren war. Das verklammerte Paar
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