Ein weites Feld
schob, drehte sich im Uhrzeigersinn. Ein feierlich täppischer Tanz. Oder eine Zeremonie von ritualer Ernsthaftigkeit. Oder eine Umarmung jener Art, die auf der bekannten Versicherung beruht: Wir befinden uns beide in einem Boot. Das stimmte in jeder Beziehung und hätte Fonty zu einem weiteren Vierzeiler anstiften können; der Reim zu versinken wäre ertrinken gewesen. Aber ihm war nicht danach, Verse zu schmieden. Endlich hatten sie einander ausgetauscht. Die Umklammerung löste sich. Wir atmeten auf. Ich wünschte mir, daß sie noch ein Weilchen so stehen blieben; und als folgten sie meinem Wunsch, standen beide nach überlebter Mutprobe wieder mit hängenden Armen. Als sie voneinander Abstand nahmen, hinter sich traten, ihren neuen Platz besetzten, war vom Ufer aus zu bemerken, daß Hoftaller, der nun auf der Ruderbank saß, während der Zeremonie des Platzwechsels seine zum Stummel kurzgerauchte Zigarre im Gesicht gehabt hatte; und die Kubanische zog noch, denn er gab Rauchsignale von sich, die wir vom Archiv nicht deuten konnten, waren wir doch, was Hoftaller betraf, auf Vermutungen angewiesen, es sei denn, der Tagundnachtschatten sprach.
Fonty saß mit Haltung auf der Heckbank und rückte an seinem verrutschten Strohhut. Der Ruderer legte mit frischer Kraft die Riemen in die Dollen und bewies vom ersten Schlag an sein Ungeschick. Viel zu tief, dann wieder zu flach oder verkantet, so daß es Spritzer gab, tauchten die Blätter ein. Jämmerlich sah das aus. Soviel Anstrengung bei wenig Nutzen. Soviel in Sachen Vergeblichkeit geschulte Mühe. Soviel Leerlauf. Aber er ruderte immerhin. Buntgescheckt, kurzärmlig ruderte er im Kreis und förderte mit jedem Ruderschlag mal dichtgedrängte, mal vereinzelte Wörter, Ausrufe, Lacher, verknappte Sätze, auch längere, oft unvollständige, die alle auf Deutschland zielten, auf dessen Einheit gemünzt waren und über den See hallten, weithin bis zu den Uferbänken und über die Liegewiese und das laute Transistorradio hinweg.
Uns ist sein Reden wie ein Diktat gewesen: »Mantel der Geschichte! Zugreifen! Gab da kein Zögern … Mußte schnell, damit nix dazwischen … War unser Plan lange schon … Wollten aber nix davon hören, diese Greise in Wandlitz, ha … Ab fünfundachtzig Eingabe über Eingabe … Alles umsonst … Und bald auf die Russen kein Verlaß mehr … Nur noch Glasnost und Perestroika … Doch ohne Sowjetmacht im Rücken … Kam nur Blaba noch … Wer zu spät … den bestraft … Ist im Prinzip ja richtig. War aber bald kein Halten mehr. Nur noch Geschrei: Wir sind das Volk! Stimmt, ne Furzidee nur, aber gefährlich … Haben handeln müssen, na, weil das mit dem Dritten Weg noch gefährlicher … Gibt’s nirgendwo: Dritter Weg! Bei uns nicht, im Kapitalismus nicht. Die im Westen sahen das auch so. Also haben wir aufgemacht, na, die Mauer … Simsalabim! Und auf war sie. Jadoch! Wir waren das. Wollten ne neue Lage schaffen. Waren nun angeschmiert, die mit dem Dritten Weg. Konnten sie glatt vergessen. Und wir haben schnell noch ne kleine Korrektur angebracht … Mußten ein einziges Wörtchen nur austauschen … Zuerst in Leipzig, dann überall … Da sehn Sie, Wuttke, was ein simples Wort ausmachen kann … Nicht mehr das, aber ein Volk! Winziger Unterschied? Stimmt! Aber der hat’s gebracht, na alles. Und der Westen war erst mal baff, hat aber schnell kapiert und zugelangt. Nur bei uns gab’s Sperenzchen. Einfach lächerlich, Runder Tisch! Wollten das Volkseigentum unter ne Treuhand stellen, vor kapitalistischem Zugriff retten, ne demokratische Maßnahme nannten die das … Paßte dem Westen natürlich nicht, denn genau besehen waren das lauter Einzelobjekte, ob ne Immobilie oder Fabrikanlage, die nun auf einmal alle zu haben waren … Tausend Schnäppchen und mehr … Aber nicht ohne uns. Wir mischen da mit, hieß unsre Devise. Die von drüben wollten natürlich alles ganz billig haben und begannen zu knausern. Da haben wir schnell ne neue Parole … Nix läuft mit Blechgeld! Wenn die Mark nicht zu uns kommt, gehn wir rüber und holen sie uns. Das half Zahlen sich dußlig seitdem … Wird teurer und teurer werden … Und alles auf Pump! Nen riesigen Schuldenberg seh ich … Ach was, Wuttke, sind ja nicht unsre Sorgen! Wir kochen die weich, butterweich, bis sie klein und häßlich sind, na, wie wir. Ha, lauter Schrumpfgermanen. Das ist ne Einheit, wie wir sie wollen. Nur ein paar Tage noch, dann gibt’s kein Zurück mehr … Denn wenn die nicht
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